|                 Die Präsentation „Barock – Nur schöner
                Schein?“ stellt Charakteristika der facettenreichen Epoche
                in sechs Ausstellungsbereichen vor. Diese ordnen die Exponate
                nach den Themen „Raum“, „Körper“, „Wissen“, „Ordnung“, „Glauben“ und „Zeit“.
                Der Rundgang erstreckt sich über rund 1.200 qm auf zwei
                Stockwerken im Museum Zeughaus der Reiss-Engelhorn-Museen. Während
                passend zur Entdeckung ferner Länder exotische Pflanzenornamente
                an den Wänden emporranken, spiegeln sich die strenge Symmetrie
                und die Sichtachsen barocker Gartenanlagen in den Bauelementen
              der Ausstellungsarchitektur wider. „Raum“ In der Barockzeit betreiben die Europäer eine frühe
                Globalisierung und beginnen einen die Kontinente übergreifenden
                Kulturaustausch. Neue Handelsrouten werden erschlossen, Güter
                aus fernen Ländern gelangen in die alte Welt. Neue Eindrücke
              und Erkenntnisse erweitern buchstäblich den Horizont.
  Einschneidende
                Fortschritte in Schiffbau und Navigation sowie exaktere Karten
                und Globen (Foto links: Erd- und Himmelsgloben) machen weite
                Seereisen an die afrikanische und asiatische Küste sowie
                nach Amerika erst möglich.
                Monate-, teils sogar jahrelang sind die Schiffe unterwegs. Sie
                bringen kostbare Waren wie Gewürze, Kaffee oder Porzellan
                nach Europa. Gehandelt werden neben Luxusgütern aber auch
                Sklaven für die beginnende Plantagenwirtschaft. Nicht nur
                Kaufleute, sondern auch immer mehr Künstler, junge Adelige
                auf Grand Tour, Gesandte, Pilger oder Missionare begeben sich
                auf teils gefährliche und strapaziöse Reisen zu Lande
                und zu Wasser. In ihrem Gepäck befinden sich Reiseberichte,
                Karten, Taschengloben und sogar eigens für Reisen gefertigtes
                Mobiliar oder Geschirr. Reiseberichte, Kunstwerke und Theaterkulissen
                entführen jedoch nicht nur an wirklich existierende Ziele,
                sondern auch fiktive Länder stehen hoch im Kurs. Ein bekanntes
                Beispiel sind Gullivers Abenteuer in Liliput, mit denen der Schriftsteller
                Jonathan Swift (1667-1745) der damaligen Gesellschaft den Spiegel
                vorhält.
 Das Fremde übt im Barock eine große Faszination aus.
                Nicht nur bisher unbekannte Gewürze und Speisen finden Eingang
                in Europa, sondern auch exotische Motive, Pflanzenmuster und
                Ornamente erfreuen sich großer Beliebtheit. Filigranes
                Porzellan, Kunstwerke und Alltagsgegenstände spiegeln diese
                Begeisterung in der Ausstellung wider. Barocke Stillleben aus
                Früchten und Gemüse inspirierten die zeitgenössischen
                Künstler Ori Gersht und Andrzej Maciejewski zu ihren Werken.
                Eine Mitmachstation bietet den Besuchern die Gelegenheit, den
                Duft ferner Länder zu schnuppern, der mit neuen Lebensmitteln
                nach Europa kommt. Globen und Karten, eine Kutscheninszenierung,
                ein Schiffsmodell, Reiseberichte und -utensilien holen die große
                weite Welt ins Museum. „Körper“ Unter der Überschrift „Körper“ widmet sich
                die Ausstellung Schönheitsidealen und -rezepten, der Hygiene,
              der Esskultur und der medizinischen Versorgung im Barock.
 Im Barock gibt es kein einheitliches Schönheitsideal. Neben
                einer Vorliebe für Üppigkeit existiert auch ein von
                der Antike inspiriertes Ideal der Schlankheit. Maler stellen
                schöne nackte Körper dar. Ein beliebtes Motiv sind
                biblische Szenen wie der Heilige Sebastian, die büßende
                Maria Magdalena oder Susanna im Bade, die körperliche Schönheit
                mit Tugend verbinden.  Eindrucksvolle
                Beispiele kommen aus dem Kunsthistorischen Museum in Wien und
                den Königlichen Kunstmuseen Belgiens in Brüssel.
                Auch eine zeitgenössische Interpretation reiht sich in den
                Bilderreigen ein: Der niederländische Fotograf Hendrik Kerstens
                setzt sich in seinen Arbeiten auf ironische Weise mit den Alten
                Meistern auseinander (Bild rechts: © Hendrik Kerstens).
 Um den Schönheitsidealen nachzueifern, greifen Frauen und
                Männer zu allerlei Tricks und modischen Accessoires. Durch
                Korsetts und Rockunterbauten wird die Silhouette der Frau geformt
                und die Taille betont. Männer erlangen die gewünschte
                imposante Statur dank hoher Absätze, voluminöser Kleidung
                und üppiger Perücken. Sauberkeit spielt im Barock in den gehobenen Kreisen eine wichtige
                Rolle. Aus Angst, dass durch Wasser gefährliche Krankheitserreger
                in die Haut eindringen, ergreift man andere Hygienemaßnahmen:
                Man reibt sich mit Tüchern ab, reinigt die Haare mit Puder
                und parfümiert sich. Hemden werden oft gewechselt und müssen
                makellos weiß sein. Gebadet wird zu medizinischen Zwecken
                mit Badezusätzen. Bei manchen Schlössern entstehen
                sogar Badehäuser als exklusive Stätten der Entspannung. Auch bei den Essgewohnheiten wird der Unterschied zwischen Arm
                und Reich deutlich. Der Barock ist geprägt durch verheerende
                Hungersnöte und rauschhaften Überfluss. Raffinierte
                Speisen in aufwändiger Präsentation auf überreich
                gedeckten Tafeln an den Höfen stehen einer spärlichen
                Küche bei der einfachen Bevölkerung gegenüber.
                Auch neue Luxusgüter wie Tee, Kaffee und Schokolade bleiben
                der Oberschicht vorbehalten. Unter dem Motto „Biersuppe
                und Austernfrühstück“ bewundern die Besucher
                unter anderem unterschiedliche Geschirrformen und das „Neue
                Salzburgische Kochbuch“ aus dem Jahr 1719 zeigt, wie man
                ungewöhnliche Leckerbissen wie Delphinpastete zubereitet.  Conrad Hagger, Augsburg 1719,Drahtgestell für Delphinpastete
                aus „Neues Saltzburgisches                Koch-Buch“.
                Kupferstich auf Papier. 
                Wissenschaftliche Stadtbibliothek Mainz.                © Stadtbibliothek
              Mainz
 Ebenso wie bei der Esskultur richtet sich die medizinische Versorgung
                nach gesellschaftlichem Rang und Vermögen. Am Hof und in
                der Stadt ruft man den Arzt, auf dem Land geht man zum Barbier
                oder behilft sich mit überlieferten Hausmitteln. Die Entdeckung
                des Blutkreislaufes und Erkenntnisse aus der Anatomie verändern
                die Medizin. Doch obwohl sie ihre theoretische Grundlage verloren
                haben, halten sich Methoden wie Aderlass oder Schröpfen
                noch lange. „Wissen“Technische Innovationen des 17. und 18. Jahrhunderts ermöglichen
                bahnbrechende Entdeckungen. Mit Fernrohren werden Sterne und
                Weltraum erforscht, Mikroskope eröffnen Einblicke in die
                für das bloße Auge unsichtbaren Welten des Allerkleinsten.
                Galileo Galilei (1564- 1641/1642) erforscht die Gestirne, William
                Harvey (1578-1657) entdeckt den Blutkreislauf, Antoni van Leeuwenhoek
                (1632-1723) beobachtet im menschlichen Speichel Bakterien und
                Isaac Newton (1643-1727) beweist die Gesetze der Schwerkraft.
                Neben Traktaten präsentiert die Ausstellung zahlreiche wissenschaftliche
                Instrumente, die den Fortschritt in der Barockzeit deutlich machen.
                Darunter befindet sich eine wahre Rarität: eines der wenigen
                erhaltenen Mikroskope von Antoni van Leeuwenhoek. Der vermögende
                Tuchhändler aus Delft brachte sich die Kunst des Mikroskopbaus
                selbst bei und avancierte mit seinen neuen Erkenntnissen zum „Vater
              der Mikroskopie“.
 Die Alchemie vereint naturwissenschaftliche und philosophische
                Aspekte. Vorrangiges Ziel seriöser Alchimisten ist es, mit
                Hilfe chemischer Verfahren das Unreine vom Reinen zu trennen. Immer bestimmender wird jedoch der Versuch aus unedlen Metallen
                Gold herzustellen. Ausschlaggebend dafür ist das gewachsene, der Repräsentationspflicht
                geschuldete Prunkbedürfnis der Herrscher, dem allerdings
                notorische Geldknappheit gegenübersteht. Viele Betrüger
                tummeln sich hier, was die Alchemie vermehrt mit Okkultismus,
                Hexerei und Aberglauben in Verbindung und in Verruf bringt.  Maria Sibylla Merian, Metamorhosis insectorum Surinamensium.
                Amsterdam, 1705. Kupferstich auf Papier, handkoloriert. 
                Georg-August-Universität, Niedersächsische Staats-
                und
                Universitätsbibliothek Göttingen.                © 
              SUB Göttingen, GR 2 Zool VI, 3904
 Der Barockmensch nimmt die Welt zunehmend in Besitz und beginnt
                sie zu erforschen und in Kunst und Wissenschaft abzubilden. Mineralogische
                und botanische Interessen locken in ferne Regionen, die Reisenden
                lernen eine fremdartige Flora und Fauna kennen. Diese wird mit
                gebührender Genauigkeit betrachtet und anschließend
                akribisch in reich bebilderten Folianten dargestellt. Die Kupferstecherin
                und Naturforscherin Maria Sibylla Merian (1647-1717) widmet sich
                auf ihren Reisen beispielsweise erstmalig der Insekten- und Pflanzenwelt
                Surinams und hält ihre Beobachtungen in kunstvollen Kompositionen
                fest. Auf Merians Arbeiten direkten Bezug nimmt die zeitgenössische
                niederländische Künstlerin Joos van de Plas, die sich
                in ihrem Werk mit der Metamorphose des Schmetterlings auseinandersetzt. Die barocken Wunder- oder Kunstkammern an zahlreichen Fürstenhöfen
                befriedigen Repräsentationslust und naturwissenschaftliche
                Neugier zugleich. Sie sind Zentren des Wissens in Europa. Weltliche
                und geistliche Fürsten, wissenschaftliche Gesellschaften
                und vereinzelt auch Kaufleute wetteifern um den Besitz jener
                fremdartigen Kunstwerke und staunenswerten Naturschätze,
                die aus den neu entdeckten Weltgegenden nach Europa gelangen.
                Aber nicht nur ferne Länder stehen im Fokus der Sammelleidenschaft,
                sondern auch vergangene Epochen. Besonders die Antike erfreut sich großer Beliebtheit.
                Münzen und Statuen werden gesammelt und zur Quelle der Geschichtsforschung,
                antike Bauwerke auf Reisen besichtigt. „Ordnung“Eine feste Ordnung strukturiert sämtliche Lebenswelten in
                der Barockzeit: die Ständehierarchie, den Staat, die Gesellschaft.
                Jeder hat seine vorbestimmte Rolle innerhalb der Gesamtstruktur
                zu erfüllen. Über allen steht der Fürst und jedem
                Untertan ist eine feste Position in der Hierarchie zugewiesen.
                Der fürstliche Machtanspruch gipfelt im Herrschaftssystem
                des Absolutismus. Im Hofzeremoniell wird die fürstliche
                Macht für alle demonstriert. Um ihre Position zu sichern
                oder ihr Herrschaftsgebiet zu vergrößern, führen
                die Könige im Barock zahlreiche Kriege. An einer Mitmachstation
                probieren die Besucher am eigenen Leib die strikte Kleiderordnung
                des Barock aus. Diese legt genau fest, welche Kleidung und Accessoires
                von welchem Stand getragen werden dürfen. Um den strengen
                Regeln zu entkommen, schlüpfen Adelige bei Kostümfesten
                in die Rolle von Schäfern, Bauern oder Wirtsleuten. Auch
              Malerei, Literatur und Theater entführen in freiere Welten.
 Das Prinzip der Ordnung spielt bei der Anlage von Städten
                und Gärten eine große Rolle. Grafiken in der Ausstellung
                zeigen, wie Mannheim oder Karlsruhe geplant und angelegt wurden. Idealstädte sollen ein wohlgeordnetes Kunstwerk sein, das
                durch Regelmäßigkeit und Geschlossenheit besticht.
                Im Machtzentrum steht die Residenz, nach der sich der hierarchisch
                gegliederte Stadtplan ausrichtet. Im Barock werden auch Gärten
                und Parkanlagen zu Kunstwerken. Der Gartenarchitekt André Le
                Nôtre (1613-1700) setzt mit seinen Ideen für die Schlossanlagen
                von Vaux-le-Vicomte und Versailles neue Maßstäbe.
                Viele der weltlichen und geistlichen Herrscher lassen sich Gärten
                nach französischem Vorbild anlegen und schaffen sich ihr
                eigenes kleines Versailles.   Vue et perspective du Jardin de Madame La Dauphine a    
                 Versailles. Pierre Aveline, Paris, 1689.
Kupferstich auf Papier. 
              Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim. © rem, Foto: Maria Schumann
 Gestaltet mit den Elementen der Natur
                entsteht ein vermeintlich grenzenloser, künstlicher Kosmos,
                in dessen weitläufigen Flächen jedes Element einer
                strengen räumlichen Ordnung unterliegt. Wichtige Merkmale
                sind symmetrisch angelegte Sichtachsen und geometrische Formen.
                Der barocke Garten ist Ausdruck für die Beherrschung der
                Natur und Machtsymbol zugleich. Den barocken Formenschatz greift
                auch der zeitgenössische Künstler Luc Merx in seinen
                Lampen auf. „Glauben“Die Glaubensspaltung prägt Europa im 17. und 18. Jahrhundert.
                Die Konfessionen werden erbitterte Gegner, nur an wenigen Orten
                ist ein friedliches Nebeneinander über längere Zeit
                hinweg möglich. Protestanten und Katholiken bekämpfen
                sich mit Waffengewalt in den Glaubenskriegen, durch Wortgewalt
                in Predigten und auch durch Bildpropaganda auf Gemälden
                und Flugblättern. „Glaubensflüchtlinge“,
                die wegen ihres Bekenntnisses ihre Heimat verlassen müssen,
                sind allgegenwärtig. Einen besonderen Weg schlägt Kurfürst
                Karl Ludwig beim Wiederaufbau Mannheims nach der Zerstörung
                im Dreißigjährigen Krieg ein. Er rief in deutscher,
                französischer und niederländischer Sprache „alle
                ehrlichen Leute von allen Nationen“ dazu auf, sich in Mannheim
              niederzulassen und gestand unter anderem Religionsfreiheit zu.
  Büßende Maria Magdalena. Orazio Lomi Gentileschi,
                  um 1626/1628.Öl auf Leinwand. 
                  Kunsthistorisches Museum Wien.                  © 
                  KHM–Museumsverband Wien
 Die Konfessionen finden neue Ausdrucksformen. Neue katholische
                Orden propagieren neue Heilige als Antwort auf protestantische
                Glaubensinhalte und zur Bindung der Gläubigen. Die Heiligenverehrung
                erfährt im Barock einen besonderen Höhepunkt. Für
                alle Lebenssituationen und Nöte des Alltags stehen diese
                den Gläubigen als Fürbitter zur Verfügung. Anhand
                einer Reliquie stellt die Präsentation beispielsweise den
                Nepomuk-Kult vor, der während der Gegenreformation vor allem
                in den Ländern der Habsburger populär wird. Malerei, Architektur und Musik werden zu Propagandazwecken eingesetzt.
                Die Künstler versuchen, den Gläubigen emotional zu
                packen, indem sie die Verehrung von Heiligen und den Marienkult
                prunkvoll umsetzen. Protestantische Glaubensbilder rücken
                hingegen das Wort Gottes und die Erlangung der Gnade Gottes ins
                Zentrum. Ihre Darstellungsformen sind meist eher bescheiden und
                nüchtern. Allerdings besteht der Dualismus vom schlichten
                wortorientierten Protestantismus und dem prächtigen gegenreformatorischen
                Katholizismus nicht immer. Kriege und Seuchen einerseits sowie neue Erkenntnisse und Errungenschaften
                in Wissenschaft und Technik andererseits wecken Zweifel an den
                kirchlichen Glaubenssätzen. Die Reformation führt zu
                einer der schwersten Krisen des Papsttums. Der Mensch des Barock
                fühlt sich mit seinen Sorgen und Ängsten zunehmend
                alleingelassen und zieht sich in individuelle Frömmigkeit
                zurück. Hilfestellung bei der persönlichen Andacht
                bieten die Bibel oder auch Bilder aus dem Leben der Heiligen. Im Bereich „Glauben“ stehen sich in der Ausstellung
                die Werke von zwei der berühmtesten Barockmaler gegenüber.
                Eine Darstellung des Apostel Paulus von Rembrandt (1606-1669),
                eine Leihgabe aus dem Kunsthistorischen Museum in Wien, und das
                Bildnis einer lesenden Frau von Rubens (1577-1640) aus den Beständen
                der Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen.  Bildnis einer lesenden Frau. Peter Paul Rubens / Jan Boeckhorst,
                1. Hälfte 17. Jahrhundert.Öl auf mehrteiliger Eichenholztafel.
              Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim. © rem, Foto: Jean Christen
  Apostel Paulus. Rembrandt Harmensz van Rijn, 1633(?).Öl
                auf Leinwand. 
                Kunsthistorisches Museum Wien.                © 
              KHM–Museumsverband Wien
 „Zeit“Gewaltige Kriege prägen das Leben der Menschen in der Barockzeit.
                Neuigkeiten und Propaganda verbreiten sich dank Medien wie der
                neu entwickelten Zeitung oder Flugblättern schneller als
                je zuvor. In der Ausstellung ist mit der „Relation“ aus
                dem Jahr 1609 die älteste erhaltene Zeitung der Welt zu
              sehen.
 Der Dreißigjährige Krieg, die sogenannten Reunionskriege
                Ludwig XIV. und der Spanische Erbfolgekrieg erschüttern
                das barocke Zeitalter und hinterlassen verwüstete Landstriche.  Künstler zeigen in ihren Werken das Kriegsgeschehen in
                all seiner Grausamkeit. Die Verheerungen wirken lange nach, denn
                sie vernichten einen Großteil der Bevölkerung nicht
                nur in den unmittelbar betroffenen Gebieten. Seuchen tun ihr Übriges.
                Der Tod droht zu jeder Zeit und an jedem Ort.
 Pendule. Louis oder Jean Amant, Paris, um 1750-60. Messing,
                  Glas, Email, Gold. Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim. © rem,
              Foto: Lina Kaluza Angesichts von Pest, Kriegen und Katastrophen ist der barocke
                Mensch von einem tief verwurzelten Todesbewusstsein geprägt.
                Vanitas-Stillleben und Memento Mori-Darstellungen sind verbreitet.
                Auf Bildern gemahnen prachtvolle, aber nur kurz blühende
                Blumen an die Vergänglichkeit von Schönheit und Jugend
                und an das schnelle Vergehen alles Irdischen. Totenschädel, erlöschende Kerzen und rieselnde Sanduhren
                sind eindrückliche Zeichen für das Verrinnen der Lebenszeit
                und sehr beliebte Motive in Memento Mori-Bildern. Neben historischen
                Vanitas-Darstellungen schlägt eine Barock-Punk-Performance
                des zeitgenössischen Künstlers Ludger Engels die Brücke
                in unsere Zeit. Das Stück „Semele Walk“ zur
                Musik von Georg Friedrich Händel besticht durch auffällige
                und exzentrische Kostüme der berühmten Designerin Vivienne
                Westwood. Semeles Kleid ist aus ungewöhnlichem, mehrlagigem
                Chiffon, der auf der einen Seite mit Goldbronze beschichtet und
                auf der anderen Seite mit üppigen Blumenornamenten bedruckt
                ist. Semeles Ende im Feuer wird bei jeder Bewegung durch das
                unterschiedlich aufscheinende Material vorweggenommen. Den Menschen im Barock ist jedoch nicht nur die Vergänglichkeit
                der Zeit bewusst, die Zeit wird auch mit neuen Geräten gemessen.
                Die geistlichen Lebenswelten, das absolutistische Hofzeremoniell
                und das bürgerliche Organisationsbedürfnis benötigten
                eine feste Struktur: Tages-, Jahres- und Lebensablauf werden
                streng geregelt. Prunkuhren für den Adel, öffentlich
                sichtbare Uhren und Uhren im bürgerlichen privaten Bereich
                strukturieren den Tag und ermöglichten Planung und Verabredungen.
                Die Geräte sind nicht nur funktional, sondern repräsentierten
                auch den sozialen Status ihrer Besitzer. So wie Uhren den Tag,
                teilen Kalender das Jahr ein. Sie halten religiöse und weltliche
                Feste, Geburts- und Todestage und Tage für Aussaat, Ernte
                und Aderlass fest. Dass Zeit aber auch Anschauungs- bzw. Glaubenssache sein kann,
                beweist die Nutzung zweier unterschiedlicher Kalender. Während
                die Protestanten den Julianischen Kalender beibehalten, nutzen
                die Katholiken den 1582 eingeführten Gregorianischen Kalender.
              Die Differenz der beiden Kalender beträgt mehrere Tage. |