| Der Fürst der Welt (Zitat: Kobler) Im Südwesten Frankreichs und in Burgund findet sich unter
              den Bildwerken an Fassaden, Portiken und Kapitellen im 12. Jahrhundert öfters
              die "femme aux serpents" (1), eine unbekleidete
              Frau, an deren Brüsten Schlangen saugen oder die von Schlangen
              und Kröten umgeben ist. Diese Frau wird als Luxuria interpretiert
              und gilt als ikonographische Schöpfung des Languedoc (2).
              Sie wird nur selten allein dargestellt: meist kommt sie mit dem
              Satan zusammen vor. Hier also kommt es zu einer Paarbildung ähnlich
              wie in Freiburg: Satan und Luxuria (3). Doch wird
              das Attribut der Schlangen und Kröten in Freiburg nicht der
              Frau beigegeben, sondern - wie in Straßburg - dem Satan (4).   Es macht also den Eindruck, als ob Freiburg in seinem Paar Satan
              und Luxuria eine romanische Tradition Südwestfrankreichs aufgreifen
              würde, wenn auch unter Verwendung neugeprägter Figuren,
              die durch den Warn-Engel noch eine Erweiterung (und Erläuterung)
              erfahren. Die Zusammenstellung Satans mit den törichten Jungfrauen,
              die als Gegenüber Christus und die klugen Jungfrauen erhalten,
              scheint dagegen eine junge Erfindung zu sein. Die einige mir bekannt
              gewordene Vorstufe zur Straßburger Gegenüberstellung
              bietet ein Fenster in der Kathedrale von Troyes um 1250 (5).
              Dort finden sich in zwei Lanzetten im Hochchor die klugen Jungfrauen
              mit Christus den törichten mit Satan konfrontiert (6).
              Die Gestalt des Straßburger und Freiburger Satan alsmodisch
              gekleideter Mann mit dem Rückenstreifen voller Kröten
              und Schlangen ist vor Straßburg weder in Frankreich noch
              in Deutschland bisher nachweisbar.
              ... ist es ziemlich unwahrscheinlich, dass in Freiburg der Satan
              als Anführer der törichten Jungfrauen projektiert gewesen
            sein soll. 
             
 Anmerkungen:  1 Emile Mâle, L'art religieuse au
              XIIme siècle en France. Paris, 5. Aufl. 1947, S. 365ff.,
              bes. S. 373-76. Hauptbeispiel ist der Portikus von St. Pierre in
              Moissac.   2 Von Mâle werden die Tiere als
              Bestrafung der Luxuria erklärt; diese Interpretation hat keinen
              rechten Sinn. Ein oberrheinisches Beispiel aus dem 13. Jh. in einer "Konsole" an
              der südlischen Hochschiffwand des Straßburger Münsters:
              Straßbureger Münsterblätter 5 (1908), S. 23, Abb.
              23
              3 Satan: Münzel, Skulpturenzyklus
              S. 105ff.
              4 Bei Alexandre Lenoir, Monuments des
              Arts libéraux, Paris 1840, zeigt der Stich auf T. XVIII
              die männliche Figur mit Klauenfüßen, also den Teufel,
              dem je eine Schlange und Kröte beigegeben sind. 5 Aubert,
              Chastel, Grodecki u.a., Le vitrail francais, 1958, S. 49, Abb.
              29. Jean Lafond, Les vitraux de la Cathédrale de Troyes:
              Saint-Pierre des Troyes. Congrès archéologique CXIII,
              1955, S. 29ff, 46, 48
              6 Die gleiche Gegenüberstellung zeigt ein
              Hungertuch von Heiligengrabe (Ostpriegnitz) um 1300: Kunstdenkmäler
              der Provinz Brandenburg 1,2: Eichholz, Solger, Spatz, Die
              Kunstdenkmäler des Kreises Ostpriegnitz, Berlin 1907, S. 75,
              S. 76 Abb. 9.
             
             
  Friedrich Kobler: Der Jungfrauenzyklus
              der Freiburger Münstervorhalle. Bamberg 1970 (= Diss. phil.
            Berlin 1966) S. 124/25  |