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                      Wie 
                      richtet man ein Schloss ein? 
Ein Gespräch mit Dr. Saskia Esser, Konservatorin der 
                      Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württemberg und verantwortliche 
                      Kunsthistorikerin für Schloss LudwigsburgVor 300 Jahren wurde das Alte Corps de Logis als ältester 
                      Teil des Ludwigsburger Residenzschlosses begonnen. Was ist 
                      im Schlossmuseum vom Schlossgründer Eberhard Ludwig nach 
                      dieser langen Zeit noch zu sehen? 
                     Esser: Barocke Innenräume waren stark von Textilien, besonders 
                      von Wandteppichen bestimmt. Sie gehörten damals zu den teuersten 
                      Posten der Raumausstattung. Die Räume des heutigen Schlossmuseums 
                      waren zur Zeit Eberhard Ludwigs geradezu mit Tapisserien 
                      "tapeziert", die wertvollen Stücke wurden wandfüllend montiert. 
                      Vor den Fenstern und den Türen hingen schwere Samtvorhänge. 
                      Freilich: aus dieser Zeit ist nicht mehr alles erhalten. 
                      Der Geschmack änderte sich von Generation zu Generation, 
                      Stoffe verschleißen. Dennoch haben wir das Glück, dass sich 
                      im Ludwigsburger Schloss einige Tapisserien aus der Zeit 
                      Herzog Eberhard Ludwigs erhalten haben. Die kostbaren Stücke 
                      wurden in den letzten Jahren im Vorfeld des Schlossjubiläums 
                      aufwändig restauriert und werden bald wieder die ehemaligen 
                      Wohn- und Repräsentationsräume des Schlossgründers schmücken. 
                     Woher stammen die Tapisserien des Herzogs Eberhard Ludwig, 
                      die heute im Schlossmuseum zu sehen sind? 
                     Esser: Die Tapisserien, die aus der Zeit Eberhard Ludwigs 
                      erhalten blieben, sind zum Teil bei ausländischen Herstellern 
                      gekauft. Typisch war es, die teueren Stücke bei französischen 
                      oder niederländischen Manufakturen zu erwerben. Aber Herzog 
                      Eberhard Ludwig wollte die Wirtschaft im Land fördern: Deshalb 
                      gründete er 1698 eine eigene Tapisserienmanufaktur in Stuttgart. 
                      Er folgte damit auch den zeitgenössischen Wirtschaftstheorien 
                      des Merkantilismus. Wir wissen, dass er dafür den hugenottischen 
                      Tapisserienweber Charles Leonhardt Tellier aus der Manufaktur 
                      Schwabach abwerben ließ. Tellier hatte sein Handwerk ursprünglich 
                      in Aubusson gelernt; das war damals ein Zentrum der französischen 
                      Tapisserienweberei. Aus der neuen Stuttgarter Manufaktur 
                      stammt beispielsweise die Folge der "Vier Jahreszeiten" 
                      - die können wir zum Jubiläum wieder im Schlossmuseum zeigen. 
                      Durch einen Glücksfall haben sich alle vier Wandteppiche 
                      der Serie erhalten: Man erkennt ihre Zusammengehörigkeit 
                      daran, dass alle die gleiche prachtvolle Bordüre tragen. 
                      Die vier Tapisserien werden ein wunderbar geschlossenes 
                      Raumbild erzeugen und uns einen Eindruck der einstigen barocken 
                      Ausstattung vermitteln. Für unsere Arbeit hilfreich war 
                      übrigens, dass die gesamten Tapisserien der Staatlichen 
                      Schlösser in Baden-Württemberg in einem Bestandskatalog 
                      wissenschaftlich bearbeitet werden konnten; der Band erschien 
                      erst vor 2 Jahren. 
                     Womit waren - außer mit den Tapisserien - die Wohn- 
                      und Repräsentationsräume des Schlossgründers noch eingerichtet? 
                     Esser: Höfische Räume waren für heutige Verhältnisse sparsam 
                      möbliert. Konsoltische an der Wand, dazu so genannte Gueridons, 
                      also kleine Tische, die beispielsweise Leuchter trugen, 
                      einige Sitzmöbel. Die Konsoltische hatten ihren festen Platz 
                      zwischen den Fenstern. Darüber hing meist ein Spiegel, der 
                      zur Zeit von Herzog Eberhard Ludwig gleichfalls ein teures 
                      Luxusprodukt war. Die Kombination von Konsoltisch und dem 
                      darüber montierten Spiegel wurde als typisch höfisches Ausstattungselement 
                      von den späteren Generationen stets beibehalten, auch wenn 
                      man sie in der Form dem aktuellen Zeitgeschmack anpasste. 
                      Aus diesem Grund stammen die Spiegel und Konsoltische, die 
                      man heute in den Räumen sieht, vorwiegend aus der Zeit von 
                      König Friedrich I. von Württemberg: Er ließ die Räume Herzog 
                      Eberhard Ludwigs um 1800 für hochrangige Gäste modernisieren.Rechts und links der Konsoltische standen oft die Gueridons, 
                      auf denen Girandolen, pyramidenförmige, mehrflammige Leuchter, 
                      standen. Die Sitzmöbel, deren Bezüge farblich auf die Wandbespannungen 
                      und Vorhänge abgestimmt waren, standen in schöner Ordnung 
                      entlang der Wände.
 Woher wissen Sie so genau, wie es bei Eberhard Ludwig 
                      aussah? 
                     Esser: Wir haben Quellen aus der Zeit des Schlossgründers: 
                      die "Mobilieninventare". Beispielsweise: Im Jahre 1721 ließ 
                      der Herzog alle mobilen Objekte des Ludwigsburger Schlosses 
                      Raum für Raum in ein schriftliches Inventar aufnehmen. Das 
                      Inventar von 1721, ein dickes Buch, hat sich bis heute im 
                      Hauptstaatsarchiv in Stuttgart erhalten. Zu den Mobilien 
                      zählte man nicht nur die aus Holz geschaffenen Möbelstücke, 
                      sondern auch die Wandteppiche, die ja abnehmbar - also mobil 
                      - waren, die Spiegel und natürlich auch die kostbaren Leuchter. 
                      Wenn das Inventar uns kein plastisches und anschauliches 
                      Bild liefert, suchen wir Vergleichsbeispiele der Zeit, etwa 
                      zeitgenössische Innenraumansichten, wie sie beispielsweise 
                      am Dresdner Hof oder auch in Wien angefertigt wurden. Grundlage für die Arbeit: Bevor man an die Einrichtung eines 
                      Appartements gehen kann, muss man die alten Inventare studieren, 
                      die die Ausstattung der einzelnen Räume im Detail beschreiben. 
                      Bei jedem einzelnen Stück, sei es eine Wandbespannung, ein 
                      Möbelstück oder ein Gemälde, muss man anhand der Inventare 
                      durch die Jahrhunderte nachprüfen, wie und wo es verwendet 
                      wurde. Um die verschiedenen Einrichtungsphasen der Ludwigsburger 
                      Schlossräume zu entschlüsseln, fallen schon mal drei Regalmeter 
                      zu sichtendes Aktenmaterial an - niedergeschrieben von verschiedenen 
                      Händen und in altdeutscher Schrift! Bei manchen Dokumenten 
                      fühlt man sich an das Entschlüsseln von Hieroglyphen erinnert. 
                      Besonders, wenn man die später hinzugefügten Randnotizen 
                      über Verkäufe und ähnliche oft wichtige Bemerkungen entziffern 
                      will, braucht es Übung und Geduld.
 Zum Jubiläum wird das Schlossmuseum im Alten Corps de 
                      Logis und im Riesenbau mit einer neuen Möblierungskonzeption 
                      auftreten. Gab es einen konkreten Anlass für die derzeitigen 
                      Veränderungen im Schlossmuseum? 
                     Esser: Wir haben mehr Platz bekommen und damit die Möglichkeit, 
                      die Einrichtung des Alten Corps de Logis und des Riesenbaus 
                      stärker als bisher auf die Person des Schlossgründers und 
                      sein Umfeld abzustimmen. Ab Juni 2004 wird das Schlossmuseum 
                      im zweiten Geschoss des Neuen Corps de Logis um die acht 
                      Räume des Carl Eugen Appartements erweitert. In diesem Gesellschaftsappartement 
                      des Herzogs Carl Eugen wird der umfangreiche Bestand an 
                      französischen Möbeln des 18. Jahrhunderts präsentiert - 
                      in einer wunderbar erhaltenen Raumfolge aus der Zeit des 
                      Rokoko. Herzog Carl Eugen hat die Möbel damals selbst erworben, 
                      etwa bei Besuchen in Paris. 
                     Was waren und sind die Gesichtspunkte und Kriterien, 
                      nach denen man diese fürstlichen Wohnungen wieder möbliert? 
                     Esser: Grundlage für ein solches Möblierungskonzept war 
                      zum einen das schon erwähnte Inventar aus dem Jahre 1721, 
                      an dem wir uns orientieren konnten. Zum anderen verfolgen 
                      wir das Anliegen, jeweils den ältesten bekannten Bewohner 
                      als historische Persönlichkeit anschaulich vor Augen zu 
                      führen. Mehrere Porträts, von denen einige im Vorfeld des 
                      Jubiläums aus dem Kunsthandel erworben wurden, vergegenwärtigen 
                      im Alten Corps de Logis diese Menschen des frühen 18. Jahrhunderts: 
                      Herzog Eberhard Ludwig, seine Familie und sein historisches 
                      Umfeld, wie beispielsweise Kaiser Leopold I. oder Markgraf 
                      Ludwig Wilhelm von Baden-Baden. Im Riesenbau wohnte der 
                      jung verstorbene Sohn von Herzog Eberhard Ludwig, Erbprinz 
                      Friedrich Ludwig von Württemberg. Außerdem hatte hier der 
                      Nachfolger von Herzog Eberhard Ludwig, Carl Alexander seine 
                      Wohnung. An diese beiden Männer erinnern gleichfalls Porträts. 
                      In den einstigen Räumen Carl Alexanders führen Schlachtengemälde 
                      vor Augen, dass er, bevor er Herzog von Württemberg wurde, 
                      eine erfolgreiche Karriere als kaiserlicher Feldherr absolviert 
                      hatte. Nachdem er an die Regierung gelangt war, kaufte Carl 
                      Alexander in Wien die Gemäldesammlung des Grafen Gotter, 
                      die seither den Grundstock für den reichen Bestand an barocken 
                      Gemälden im Schloss bildet. Um auf diesen gezielten Ankauf 
                      hinzuweisen, haben wir zwei mythologische Szenen für das 
                      einstige Vorzimmer Carl Alexanders ausgewählt: Die beiden 
                      Bilder sind in typisch barocker Weise als zusammengehörige 
                      Pendants aufgefasst und hängen jetzt auch wieder als Paar. 
                     Wir hatten noch ein weiteres Ziel bei der Neupräsentation: 
                      Wir führen die historische Aufteilung der Raumfluchten in 
                      Zugangsräume, Festräume und Appartements vor Augen. Nicht 
                      jeder Raum eines barocken Schlosses war gleich prächtig 
                      ausgestattet. Innerhalb eines Appartements steigerte sich 
                      die Innenausstattung auf raffinierte Weise, um am Ende im 
                      Prunk des fürstlichen Audienzzimmers zu gipfeln. 
                     Was musste geschehen, bevor die Räume im Alten Corps 
                      de Logis und im Riesenbau wieder eingerichtet werden konnten? 
                     Esser: Für die Neueinrichtung des Alten Corps de Logis 
                      und des Riesenbaus konnten wir auf 22 Stücke zurückgreifen, 
                      die in den Depots aufbewahrt wurden. Sie konnten jetzt in 
                      das Schlossmuseum integriert und damit der Öffentlichkeit 
                      zugänglich gemacht werden. Mit acht Neuerwerbungen ergänzen 
                      wir in Altem Corps de Logis und Riesenbau den bisherigen 
                      Bestand. Für die umfangreichen Umstrukturierungen des gesamten 
                      Schlossmuseums wurden in den letzten sechs Jahren knapp 
                      900.000 Euro an Restaurierungsmitteln aufgewandt.Hinter der Neupräsentation des Schlossmuseums steckt eine 
                      enorme Arbeitsleistung der Restauratoren. Sie haben im Vorfeld 
                      jedes Stück unter die Lupe genommen und die jeweils geeigneten 
                      Maßnahmen zur Konservierung geplant. Ein großer Teil der 
                      Mittel entfiel dabei auf die Tapisserien, die in langwierigen 
                      Arbeitsprozessen vor dem weiteren Verfall bewahrt werden 
                      müssen. Ein fragmentarisch erhaltener Konsoltisch mit prächtig 
                      vergoldeten Löwenköpfen aus der Zeit König Friedrichs I. 
                      stellte gleichfalls eine besondere Herausforderung dar. 
                      Hier waren in alten Handwerkstechniken zentrale Stücke nachzuarbeiten.
 Sie sprachen von Neuerwerbungen. Konnten Sie von der 
                      einstigen Ausstattung Teile nachkaufen? 
                     Esser: Wichtige Möbel aus der Zeit Herzog Eberhard Ludwigs 
                      haben die Zeiten nicht überdauert. Im Audienzzimmer befanden 
                      sich beispielsweise, das war im Barock in Fürstenwohnungen 
                      so üblich, versilberte Möbel. Im Inventar von 1721 heißt 
                      es: "6 gros Massiv silbernen Gueridons mit 6 silberne Leuchter 
                      daruf, auch massiv". Die Gueridons (das waren Leuchtertische), 
                      und ihre Leuchter wurden schon bald unmodern. Vermutlich 
                      hat man sie in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eingeschmolzen 
                      und das wertvolle Metall für andere Dinge verwendet. Trotzdem 
                      konnten die Staatlichen Schlösser und Gärten im Vorfeld 
                      des Jubiläums einige Stücke aus der Zeit von Herzog Eberhard 
                      Ludwig hinzuerwerben. Beispielsweise stand im Boisserienkabinett 
                      des Jagdpavillons ein Schreibsekretär mit kunstvoller Holzeinlegearbeit. 
                      Ein mit der Beschreibung im Inventar übereinstimmendes Möbel 
                      konnte bereits im Jahr 2000 erworben werden - noch dazu 
                      angefertigt von dem Kirchheimer Kunstschreiner Isaak Roos, 
                      der nachweislich für Eberhard Ludwig gearbeitet hat. Wir 
                      haben es jetzt genau an die Stelle platziert, an der ein 
                      solcher Schreibsekretär 1721 laut Mobilieninventar stand. 
                     Ein wichtiger Neuzugang ist auch das 1999 erworbene Porträt 
                      der Erbprinzessin Henriette Marie von Brandenburg-Schwedt. 
                      Sie bewohnte die Gemächer zur Linken des zentralen Speisesaals 
                      im Alten Corps de Logis - und hatte damit die zweitwichtigste 
                      Wohnung in der Rangfolge der Räume. Als Gemahlin des Erbprinzen 
                      und Schwiegertochter des Herzogs Eberhard Ludwig war sie 
                      am Ludwigsburger Hof die erste Dame (die rechtmäßige Gemahlin 
                      des Herzogs residierte ja in Stuttgart). Ihr Gemälde, auf 
                      dem sie auf einem blau gepolsterten Fauteuil posiert und 
                      einen Mops bei sich auf dem farblich passenden Taburett 
                      sitzen hat, wird ab Mai zum ersten Mal in ihrem einstigen 
                      Audienzzimmer zu sehen sein. 
                     Hat es im Vorfeld des Jubiläums auch überraschende Entdeckungen 
                      gegeben? 
                     Esser: Ja! Wir haben beispielsweise im ehemaligen Audienzzimmer 
                      von Herzog Eberhard Ludwig eine originale Wandbespannung 
                      entdeckt - allerdings nicht die des Barock, sondern die 
                      der klassizistischen Ausstattung durch den Architekten Nikolaus 
                      Friedrich von Thouret. An einigen Stellen hat sich der Stoff, 
                      apricotfarbene Seide (oder wie der alte Fachbegriff heißt: 
                      "Seidengourgourand") in seiner ursprünglichen Farbigkeit 
                      erhalten. Wir konnten ihn daher nachweben lassen. Unter 
                      Nikolaus Friedrich von Thouret erhielt der Raum passend 
                      zur Wandbespannung neue Supraporten. Auch diese dekorativen 
                      Gemälde über der Tür sind wieder aufgetaucht: Sie haben 
                      sich gleichfalls erhalten und ergänzen das Ensemble wunderbar. 
                      Sie sehen: Dreihundert Jahre württembergische Geschichte 
                      sind im Ludwigsburger Schloss auch dreihundert Jahre Ausstattungsgeschichte. 
                     Text: Staatliche Schlösser und Gärten 
                      Baden-Württemberg
 
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