| [S.33] Während unten im Murgtal Großgewerbe
                aller Art, vor allem die Holz- und Eisenwerkarbeit, Kraftfahrwerke,
                die Eisenbahn, die Kraftwerkanlagen der Schwarzenbach-Murgtalelektrizität
                das ehemals so stille Land mit Lärm und Lebtag und Hast
                erfüllen, bleiben die Höhen der Natur verbunden, dem
                Bauerntum, den Waldleuten. Man sieht viele hochgewachsene Leute
                mit starken, knochigen Gesichtern „wie aus Holz geschnitten" in
                der Landschaft, auch Männer mit lockigen Andreas-Hofer-Värten
                durch die Waldwege gehen mit langen Schritten, die Axt auf dem
                Nucken. Und diese tirolisch anmutenden Männer, Einheimische,
                erweisen sich bei tieferer Nachforschung tatsächlich als
                Nachkommen eingewanderter Tiroler oder Kärntner.  Die Industrie hat dem Murgtal und auch den Ortschaften, die
                in die Hänge und Tälchen abseits hineingeborgen sind,
                fremden Zuzug gebracht. Das hat wie überall dem Volkstum
                mehr genommen als gegeben, das ist nie und nirgends aufzuhalten.
 Dem Volkscharakter und der Mundart nach sind die Bewohner des
                Ufgaus vorwiegend alemannisch geartet. Dem Schwäbischen
                zu schwäbeln sie halt mehr, und bei Rastatt vorne im Murgtal
                mischt sich das Fränkische ein. Zwischen Oos und Murg |
                [S. 34] liegt ohnedies die Mundartschwelle. In Lichtental heißt
                eine Nadel e Guf, eine böse Frau e bös Wiib, eine Maus
                e Muus. Iiewele, Grumbiire, Gugumere un Zwetschge gedeihen prächtig.
                Aber den Fingerhüten an der „Gäle Eich" schaukeln
                Pfifhölderle (Schmetterlinge), auch muß man dort achtgeben,
                daß man sich nicht in einen Haufen Klamhooge (Ameisen)
                setzt. Die Kinder dürfen im Sommer nach dem z'Obezehre noch
                ein wenig uf d'Gaß, und wenn es z'Obeläut, geben sie
                einander den Letschtdatsch. Wenn es wetterleuchtet, so heißt
                es: 's kühlt sie a. Hagelkörner sind Kitzelbuhne, der
                Mund ist allemal e Muul oder e Labb. Im Haus wohnen noch Huuslitt.
                Die Feuerwehr wird alarmiert, und die Nachbarin berichtet: „Sie
                hän gsait, daß es in der Stadt, in der Schübestroß,
                arig brenne dät." Braut und Bräutigam heißen
                Hochzeiter und Hochzeitere, aber auch Hochzitter und Hochzittere.
                Wenn man die Kinder bedrohen will, so ruft man ihnen zu: „Mei,
                der Nachgrabb holt di. I setz der jetzt glei der Kopf zwische
                d'Ohre." Oder: „Hit Nacht musch zur Stroof barfießig
                ins Bett." Wer duckmäusig ist, dem wird gesagt: „Mach
                nit so dumm wie e Klosterhutzel." Es heißt aber auch: „Die
                isch wunderfitzig wie e Klosterhutzel." Das ganze Oostal entlang wird ähnlich gesprochen in niederalemannischer
                Art, die in Oos und Scheuern und Balg noch wuchtiger und gedehnter
                und auch mit größerem Wortschatz in Übung ist.
                Gegen den Rhein zu, in Sinzheim zum Beispiel, nähert sich
                die Mundart dem Hanauerischen. Auch die Rheindörfer Plittersdorf,
                Ottersdorf, Söllingen, Wintersdorf berühren in vielem
                das westliche Geschwister im Elsaß. Im Hinteren Murgtal klingt das Schwäbische an. Die Dörfer
                zeigen in ihrer baulichen Anlage keine auffallenden Besonderheiten.
                Sie machen nicht den kennzeichnenden einheit- | [S. 35] lichen
                Eindruck wie die Siedlungen des Renchtales etwa. Das Fachwerkhaus
                herrscht
                vor in dieser holzreichen Gegend. In
                  Langenbrand, in Weisenbach, in Schönmünzach und Raumünzach,
                  im Holzmacherdorf Kirschbaumwasen wird ein rauhes Alemannisch
                  gesprochen. Die Kinder singen einen hübschen Beschwörungsvers
              beim geduldigen Pfeifenklopfen: Ziff, zaff, ziide,Schlange in de Wiide (Weiden),
 Krodde in de Bäch,
 Daß mei Päberle nit verbrech.
 Das muss „ub'raffelt", das heißt unbeobachtet
                und unbesprochen geschehen. Zu den Himbeeren sagen sie in alter
                Form die Hindlbeere. Sie gehen in d'Schuel mit dem Buech. Hand
                wie die Mehrzahl Hände bezeichnen sie mit Häng. In den Murgtalgemeinden ist die Festesfreude nicht sehr brauchtumhaltig
                vertieft. Nur bei den Hochzeitsfeiern hat sich eine gewisse Überlieferung
                erhalten; auch sie wurde sehr selten. Früher wurde meist
                erst nachts der Hochzittere und dem Hochzitter der Hochzitsmaie
                in die festliche Stube getragen, und die Mädchen brachten
                Geschenke dar, mit langen Gedichten überreicht, dabei auch
                eine verdeckte Suppenschüssel, die der Hochzitter öffnen
                musste. Sie war mit Kindlessachen gefüllt. Erst wenn der
                Hochzeitsmaien überreicht war, durfte das Paar sich entfernen.
                An manchen Orten wurde der Maien auch früher, etwa beim
              Beginn des Mahles, überreicht. |   Kohlenmeiler bei Raumünzach. Bad. Heimat 1937 S. 44
 Bild oben: Zimmer- und Holzplatz bei Bermersbach. Im Hintergrund
                am Hang die für das Murgtal typischen Heustadel. Bad. Heimat
                1937 S. 46
 [S. 36] Von der Tracht hört man nichts
                mehr. Es gibt zwar noch alte Leute, die zu berichten wissen,
                dass in
                ihrer
                Jugend ein alter
                Bauer noch mit dem langen Zwilchrock und dem Nebelspalter in
                die Kirche gegangen sei. Die Frauen trugen einstmals kleine Spitzen-Hauben
                mit breiten Bändern und einen kurzen Kittel, bis auf die
                Hüfte reichend, der im Rückenteil nach unten spitz
                auslief; sie nannten ihn den Schnäwelesmutzen. Den Halsausschnitt
                deckte ein Dreiecktuch aus Seide. Die Männer gingen in starken,
                hirschledernen Kniehosen, langen Strümpfen, scharlachroten
                Westen, langen blauen Tuch- oder schwarzen Samtröcken mit
                stehenden Kragen und dreieckigen Hüten. Diese bäuerliche
                Mannstracht beherrschte das ganze Murgtal wie die Rheingegend.
                Es war die übliche Bauernkleidung überhaupt. Sie ist
                längst völlig abgelegt worden. Am längsten wird
                sich, vorab für die Holzmacher, die Hirschlederne erhalten
              haben, ihrer Haltbarkeit wegen. Fasnachtsbrauchtum wurde kaum mehr überliefert. In Horden
                brannte man noch Scheibenfeuer ab um die Jahrhundertwende als
                einziger Gemeinde im Murgtal. Es geschah drei Wochen vor Fasnacht.
                Der Scheibenberg in Horden lässt, wie andernorts auch (in
                Baden-Baden die steile Scheibenstraße), auf lange Überlieferung
                dieses Frühlingsbrauches schließen. Es wurde in Horden
                in den drei Wochen vor Fasnacht wöchentlich dreimal Scheiben
                geschlagen, und zwar war es zuletzt ein Vorrecht der Rekruten,
                dem inneren Sinn nach das alte Recht der mannbaren Jugend fortsetzend.
                |                  [S. 37] In vielen Orten des Murgtales, aus
                Korden ist es uns besonders bekannt, wurden am 1. Mai die Brunnen
                bekränzt.
                Auch den Mädchen wurden Maien gestellt oder geschenkt, dagegen
                  den Missliebigen Sägemehl vors Haus gestreut. Als man noch im Winter am Spinnrad saß, war das „Stubengehen" im
                Brauch, und vor Weihnachten die Zehrnacht oder Sperrnacht, wo
                die Nacht hindurch gesponnen, gut gegessen und getrunken, gesungen
                und erzählt wurde. Da bekamen die Sagen ringsum ihr eigenes
                Leben, die von der Teufelsmühle bei Kaltenbronn, die vom
                Grafen Eberstein, vom Rockertweible, vom wütigen Heer; denn
                die Landschaft ist ungemein reich an Sagen, die von der Wildheit
                und Enge des Murgtales im oberen Lauf, von der Waldeinsamkeit
                in Felsen und Schluchten, von den verlassenen, heimlichen Wegen über
                die Höhen oder durch dunklen Tann, dem Toben der Wildwasser
                ihre meistens grausigen und schwermütigen Geschehnisse und
                Gesichter nährten. In der Christnacht banden manche Bauern
                die Obstbäume fest zu ihrem Segen. Die Frauen stellten das
                weit verbreitete Zwiebelorakel auf: Salz wird in zwölf Zwiebelschalen
                einer Frucht gestreut, und je nach dem Feuchtigkeitsgrad des
                Salzes soll das Wetter in dem Monat werden, für den eine
                Schale bestimmt war. Wo ein Bienenvater starb, rüttelte man am Bienenstand.
                Wo die Hausmutter die Augen für immer schloss, wurde an
                die Essigflasche gerührt. Diese Sitten ruhen noch 
                | [S. 38] heute, heimlicher als je geübt, im altbäuerlichen
                Volk und sind nicht nur im Murgtal verbreitet, sondern auch in
                der
                Rheinebene draußen, im Oos- wie im Albtal, ja, örtlich
                abgewandelt, im ganzen Reich, finden sie eigentlich ihre Übung
                und ihre tiefe Wurzel im naturhaften Glauben unserer Frühzeit.
                Eine Weisheit steckt stets darinnen, bisweilen auch die ewig
                unabänderliche Furcht des Menschen vor der Macht des Todes. Um die Winterwende zieht der Pelznickel durch die Täler
                und Orte mit seinem Geleit, und danach, hinter dem Christfest
                her, wandern die singenden und heischenden drei Könige.
                Zum Pelznickel wird auch bisweilen Pelzemärtel gesagt. Eine merkwürdige neuzeitliche Sagenbildung bewegt sich
                um den Tunnel der Murgtalbahn bei Forbach. Dort geistert ein
                Lehrer, der in die Felsen geriet und verunglückte. Nachts
                schreckt er als schwarzer Mann die Pferde, die mit Langholz das
                Tal herabfahren. Bisweilen fällt auch auf die Menschen,
                die in der Dunkelheit durch den Tunnel gehen, Sand, von seiner
                gespenstischen Hand gestreut. Aus dem Mund eines alten „Kördemers" stammt
                die Schatzsage: „Ame Krizweg nachts am Zwölfe hen
                se emol welle christofle. Se hen en Kreis zöge un sin ni
                gstanne. Uf eimol isch „de Gott will is b'hüte" komme
                miteme Mühlstei ame Näzfade un hetenen üwerm Kopf
                rumglunkere losse. Wer üwer de Kreis nus isch, het Fang
                kriegt, wer's aber e Stund usghalte het im Kreis, het e ganze
                Hufe Geld kriegt." Aus Hermann Eris Busse: Der Ufgau. Streifzug durch Landschaft
            und Volkstum. Badische Heimat 1937 S. 33 - 38 |