| Technische Revolutionen Als Jean Zuber junior im August 1851 von der Weltausstellung
                in London zurückkommt, erstattet er vor der Industriellen
                Gesellschaft Mulhouse Bericht über die Tapetenindustrie.
                Er stellt fest, dass die französischen Unternehmen fast
                die Gesamtheit der Medaillen erhalten haben, während Großbritannien
                sich eingestehen muss, dass die dortigen Arbeiten von sehr schlechter
                Qualität sind. Es bestehen nationale Unterschiede in Bezug auf die Produktionsverfahren.
                Frankreich hält lange Zeit am manuellen Druck fest. Im Jahr
                1851 gibt es in Frankreich nur eine Maschine; sie kann sechs
                Farben drucken und steht im Unternehmen Zuber in Rixheim. Die
                Manufaktur schafft 1877 eine Zwölffarbmaschine an, 1890
                dann eine Sechzehnfarbmaschine. Da sich die Firma jedoch auf
                Luxusartikel spezialisiert hat, wird hier noch bis 1904 mit Holzmodeln
                gedruckt. Einige Zahlen verdeutlichen, wie revolutionär
                die Mechanisierung ist: Eine Rolle Tapete kostet durchschnittlich
                75 Centimes, wenn sie maschinell bedruckt wird; sie kostet 3,25
                Francs, wenn Holzmodel fiir den Druck verwendet werden. Ein Arbeiter
                kann 70 Rollen pro Tag satinieren (mit einer glänzenden
                Grundierung versehen), die Maschine schafft 50 in nur einer Stunde. Nach dem Niedergang der Panoramatapete spezialisieren sich die
                Firmen auf das Kopieren von Gemälden sowie auf die Herstellung
                von Dekoren, die Holztäfelungen aller Stilrichtungen der
                Vergangenheit imitieren und einen großen Detailreichtum
                aufweisen. Manufakturen wie die von Paul Balin erreichen ein
                sehr hohes Qualitätsniveau bei der Nachbildung von Stoffen
                und von Wandbespannungen aus kostbarem Leder. In Großbritannien wird fast ausschließlich maschinell
                produziert, das Qualitätsniveau ist niedrig. Ab 1871 werden
                dort aus Sorge vor mangelnder Hygiene ,,sanitary papers",
                abwaschbare Tapeten, entwickelt. Sie werden per Walzendruck im
                Tiefdruckverfahren produziert und imitieren Stoffe oder Holz.
                Frederick Walton meldet das Produkt 1877 unter dem Handelsnamen
                Lincrusta zum Patent an und bietet geprägte Dekore, die
                wie punziertes Leder oder wie Stuckpaneele aussehen. Die Lincrusta-
                Tapete ist abwaschbar und verbindet Hygiene mit Haltbarkeit und
                ornamentalem Reichtum. Im Jahr 1856 gewinnt der Engländer William Henry Perkin
                erstmals den violetten Farbstoff Mauvein. Damit beginnt die Entwicklung zahlreicher synthetischer Farbstoffe,
                wodurch es möglich wird, die Farbpalette erheblich zu erweitern.
                Die Motive werden nun häufig in einer großen Auswahl
                verschiedener Farben und Struktureffekte produziert. Bis zum
                Jugendstil sind die Farben kräftig, weil die Überfrachtung
                dem Geschmack der Zeit entspricht, aber auch, weil die Beleuchtung
                der Räume schummrig ist. Man benutzt Kerzen, Petroleumlampen
                und Gas, und das Licht ist schwach und flackernd. Hervorhebungen
                aus Gold und Silber sowie das Spiel mit dem Relief lassen Effekte
                durch die Lichtreflexion entstehen. Die Verbreitung der Elektrizität
                in den 1890er Jahren und parallel dazu die Entstehung der Art-and-Crafts-Bewegung
                sowie des Jugendstils bewirken, dass Pastellfarben, also hellere
                Farben, benutzt werden. Imitationen ,,Die kostbarsten Stoffe aus China, aus Japan, aus Persien,
                Seidenstoffe aus Bursa, Brokatstoffe aus Lyon, Samtstoffe aus
                Genua, Damast, Lampas, Rips, Leinwand, Leder aus Ungarn, aus
                Portugal, aus Flandern, Stickereien aus der Gobelin- und aus
                der Savonneriemanufaktur, fein genoppte Stoffe, chagrinierte,
                gaufrierte, plüschartige, moirierte, wattierte, glatte oder
                genarbte, glänzende oder matte, gedämpfte oder brillante,
                schlief&lich Hervorhebungen aus Gold oder Silber, sogar Perlmutt
                und Lackarbeiten auf schwarzem Grund, all das wird entzückend
                imitiert und perfekt wiedergegeben durch die Kombination der
                alten Herstellungsverfahren für Tapeten mit denen für
                den Prägedruck, die von Tag zu Tag flexibler, feiner und
                sicherer werden." Charles Blanc, Grammaire des Arts décoratifs,
                Paris, 1881, Seite 70 Der Aufschwung der ,,Stiltapete" ist
                eine unmittelbare Folge des wirtschaftlichen und politischen
                Aufschwungs des Bürgertums, das ein luxuriöses Dekor
                zum kleinen Preis sucht. Durch die Kombination von Handarbeit
                und maschineller Herstellung werden spektakuläre Effekte
                erzielt. Die Manufakturen sind bald in der Lage, alle Materialien
                nachzubilden: Stoffe, Leder, Holz, Mosaiken, Intarsien und vieles
                mehr. Die Manufaktur Paul Balin, die ihre Tätigkeit von 1863
                bis 1898 ausübt, nimmt eine besondere Stellung in dieser
                Landschaft ein. Ihre Spezialität ist die Gaufrierung des
                Motivs. Bei diesem Prägeverfahren wird das Papier zwischen
                eine Oberwalze mit negativem Prägemuster und eine Unterwalze,
                die das entsprechende Prägemuster als positives Relief besitzt,
                gelegt und mit Hilfe einer extrem starken Spindelpresse gaufriert.
                Balin erreicht die Perfektion in der Nachbildung von kostbaren
                Stoffen, indem er die Bindung von Leinen wiedergibt, die Verdrehung
                des Stickfadens und das Volumen von punziertem Leder. Er spielt
                mit dem Kontrast zwischen einem glänzenden Hintergrund und
                einem matten Motiv, zwischen mit Gold (oder Metalllegierungen)
                hervorgehobenen Stellen, die das Kerzenlicht reflektieren und
                solchen, die wie Samt (Wollstaub) aussehen und das Licht verschlucken. Er geht so weit, dass er auf die Tapete, die er zuvor grundiert
                hat (also mit einer Hintergrundfarbe versehen hat), eine leichte
                Seidengaze klebt, die den Anschein von Stoff noch wirklicher
                erscheinen lässt. Als Inspirationsquelle dienen Balin seine große persönliche
                Sammlung von alten Stoffen, von Leder und Fayencen, aber auch
                die Sammlungen der Museen in ganz Europa. Seine Kreationen rufen
                schon bei der Weltausstellung in Paris 1867 die Bewunderung aller
                Kritiker hervor, noch mehr dann bei der Weltausstellung in Wien
                1873, wo ihm das Große Ehrendiplom verliehen wird. Dennoch
                treiben ihn die zahlreichen Patentanmeldungen zum Schutz seiner
                Erfindungen und die Prozesse, die er gegen seine Konkurrenten
                anstrengt, in den Ruin, und er wählt 1898 den Freitod. Neben Balin haben alle Manufakturen Nachbildungen verschiedener
                Materialien im Angebot. Da auf den Tapeten jedoch keine Kennzeichnungen
                angebracht sind, können wir sie nur ganz selten bestimmten
                Unternehmen zuordnen. |