| Arts and Crafts ,,Wenn man eine Chronik über den Fortschritt im Industriedesign
                  schreibt, muss man sein Augenmerk vor allem auf die Wanddekoration
                  richten. [...] Es ist nun selten, dass man auf grell vergoldete
                  Scheußlichkeiten trifft (die Opfer schädlicher Gasausdünstungen
                  werden, die ihren Glanz rasch trüben), oder auf schwer
                  beladene Samttapeten, die überall ihren giftigen Staub
                  verbreiten. Die Ausstellung Arts arid Crafts, wo den Tapeten
                  viel Raum gewidmet wird, legt Zeugnis davon ab, wie sehr das
                  alles sich gewandelt hat.".The Art Joumal, 1889
 Die Bewegung Arts and Crafts entsteht in den 1860er Jahren in
                England. Sie entfaltet ihre Wirkung hauptsächlich zwischen
                1890 und 1910, zunächst auf den britischen Inseln, dann
                auf dem europäischen Kontinent und in Nordamerika. Ihr Name
                leitet sich von der 1887 gegründeten Arts and Crafts Exhibition
                Society ab, die ab dem folgenden Jahr in der New Gallery in der
                Londoner Regent Street ausstellt. Ihr Begründer ist der Künstler und Schriftsteller
                William Morris (1834-1896), der von den Schriften des Theoretikers
                John Ruskin (1819-1900) beeinflusst ist. Die Bewegung beftirwortet
                eine Reform der Produktionsbedingungen sowohl auf wirtschaftlicher
                und sozialer als auch auf künstlerischer Ebene. Angesichts der Entwicklung des industriellen Kapitalismus, der
                fiir die Situation der Arbeiter gleichbedeutend ist mit Armut
                und Krankheiten, und angesichts der starken Umweltverschmutzung
                setzt sich die Bewegung fiir die Rückkehr zur Natur ein,
                fiir die Wiederbelebung des Handwerks und die Wiederherstellung
                moralischer Werte. Die Ausstellung in London 1851 hatte gezeigt,
                wie schlecht die Qualität der in England gefertigten Möbel,
                des Kunstgewerbes und des Industriedesigns war. Ruskin, der vom
                Mittelalter begeistert ist, möchte die Kreativität
                und die Arbeitsqualität des mittelalterlichen Handwerks
                wiederherstellen. Seiner Überzeugung nach muss der Arbeiter
                an allen Entwicklungsphasen eines Objekts beteiligt sein. Morris gründet 1861 zusammen mit mehreren Freunden eine
                Firma mit einem Verkaufsraum in London, wo von Künstlern
                gefertigte Glasgemälde, gewebte und bedruckte Stoffe, Möbel,
                Tapisserien und Teppiche sowie Tapeten vertrieben werden. Von
                1888 an organisiert Morris Kunstgewerbeausstellungen. Er wünscht sich eine Demokratisierung des Zugangs zur Kunst,
                muss aber bald feststellen, dass seine Produktion, die von hoher
                Qualität ist und nur in geringer Anzahl gefertigt wird,
                nur fiir die oberen Klassen erschwinglich ist. Die Ideen von
                Morris verbreiten sich rasch, und in Großbritannien entstehen
                130 Arts-and-Crafts-Organisationen. In kleinen städtischen
                Werkstätten und in ländlichen Manufakturen werden traditionelle
                Techniken wiedererlernt, um damit in Handarbeit Alltagsgegenstände
                herzustellen, die in den Rang von Kunstobjekten erhoben werden:
                Geschirr, Tafelsilber, Buchbindearbeiten, Teppiche, Leuchten,
                Glasmalerei und Tapeten. Die Materialien bleiben unbehandelt,
                die Formgebung ist klar. Sowohl im Bereich der Tapeten als auch im Bereich der anderen
                Objektarten herrschen weiterhin stilisierte Pflanzen und Tiere
                als Inspirationsquelle vor. Die Bewegung bezieht sich auch auf
                die mittelalterliche Kunst, auf den Präraffaelismus und
                die Volkskunst. Die Arts-and-Crafts-Bewegung übt einen wichtigen Einfluss
                auf den französischen und belgischen Art nouveau und auf
                den deutschen Jugendstil aus. Indem die Annäherung von bildender
                Kunst und Kunstgewerbe gefordert wird, entsteht das moderne Design. Art Nouveau ,,Die einfache naturalistische Abbildung einer Pflanze auf einem
                Industrieobjekt stellt für sich genommen noch keine Verzierung
                dar. [...] Um zur Verzierung zu werden, müssen die natürlichen
                Formen zu einem regelmäßigen Motiv geordnet werden;
                sie müssen vereinfacht werden, damit ihre Bedeutung leicht
                verstanden werden kann; ihre dekorativen Eigenschaften müssen
                im entsprechenden Material so direkt und effizient wie möglich
                ausgedrückt werden." W. Midgley und A.E.V. Lilley,
                Plant Form and Design, London, 1902, Seite 13  Als Folge der englischen Art-and-Crafts-Bewegung und unter dem
                Einfluss des Japonismus erwacht in den 1890er Jahren der Wunsch
                nach einer schlichteren Kunstform, auch als Reaktion auf den
                Eklektizismus und die akademische Kultur der vorhergehenden Generation.
                Der Jugendstil betrifft Architektur und Kunstgewerbe zugleich,
                außerdem die Bekleidung und einen Teil der bildenden Künste.
                Die Innenausstattung, die eng mit der Architektur verbunden ist,
                wird als Gesamtkunstwerk verstanden. Die Tapete ist nur ein Element
                innerhalb eines Ensembles, in dem jedes Objekt seinen Platz hat,
                ohne Hierarchie. Erstmals interessieren sich namhafte Künstler, Architekten
                und Dekorateure für die Tapete. Kritiker und Theoretiker
                denken über die Erneuerung der Dekoration nach und berichten über
                Innovationen in den' Zeitschriften, von denen es um 1900 immer
                mehr gibt (The studio, Art et décoration, L 'Art décoratif
                Dekorative Kunst). Sie sind sich bewusst, dass die Qualität
                der maschinellen Herstellung schlecht ist und das Industriedesign
                erneuert werden muss; sie fordern deshalb die Benutzung von Holzmodeln
                und bestehen auf der Authentizität des Materials und seiner
                Anpassung an die Umgebung. Ihrer Meinung nach muss die Tapete die Planheit der Wände
                hervorheben und nicht dreidimensionale Gegenstände vortäuschen. Die ersten Jugendstiltapeten kommen gegen 1890 von England nach
                Frankreich und werden bald von allen Manufakturen gedruckt. Sie
                halten aber nur selten den theoretischen Anforderungen der Puristen
                innerhalb der Bewegung Stand: Es handelt sich sehr wohl um eine
                maschinelle Massenproduktion, und die neuen Motive werden oft
                mit den alten Veredelungsverfahren (Gaufrierung, Beflockung)
                kombiniert. Parallel dazu filhren die Manufakturen auch ihre
                traditionelle Produktion fort und bedienen damit die Nachfrage
                einer konservativen Kundschaft, die nach wie vor naturalistische
                Blumendarstellungen und Imitationsdekor schätzt. Trotz nationaler Unterschiede kann man gemeinsame Hauptmerkmale
                der Jugendstiltapete ausmachen. Um das Kunstgewerbe wiederzubeleben, dem der Atem ausgeht, und
                unter dem Einfluss des Japonismus schöpfen die Künstler
                ihre Ideen aus der Natur. Die gemeinsamen Pflanzen (vor allem
                Tulpe und Mohn) liefern ein Formenrepertoire, aus dem die Künstler
                die Verflechtungen, die geschlungenen Linien als ,,Peitschenschlag" festhalten.
                Die Blumen werden nicht mehr in ihrer ganzen Pracht dargestellt,
                sondern in allen Entwicklungsstadien der Blüte von der Knospe
                bis zur verblühten Pflanze. Pflanzen und Tiere werden stilisiert,
                die Motive, deren Vorlage aus den Ornamenten vergangener Jahrhunderte
                stammen, werden neu gezeichnet; die neuen Formen zeugen von einem
                neuen Interesse fiir Kalligrafie und Typografie. Die plastische
                Gestaltung gibt der Asymmetrie den Vorzug, und die Farbgebung
                ist mit Pastelltönen, gedämpften und matten Farben
                oft sehr originell. |