| Das Konzil von Konstanz (1414-1418) war ein Weltereignis am
                Ausgang des Mittelalters, welches die Stadt am Bodensee in den
                Brennpunkt der europäischen Politik und der gesamten Christenheit
                rückte. Könige, Päpste, Patriarchen, Kardinäle,
                Bischöfe und Äbte, die einflussreichsten Fürsten
                und Theologen des gesamten Abendlandes zelebrierten ihren prachtvollen
                Auftritt in Konstanz. Aus der ganzen christlichen Welt kamen
                Gesandte und Delegationen, von Lissabon bis Konstantinopel, von
                Uppsala bis Damaskus, ja sogar aus Äthiopien. Vier Jahre
                lang war die Stadt das Zentrum der gesamten Christenheit und
                Mittelpunkt der Ökumene. Über 70.000 Menschen beherbergte
                Konstanz in jener Zeit; sie wurde zum Schmelztiegel der Kulturen
                und zur Plattform für den Austausch von Wissen, Waren und
                Werten.  Die Gründe, weshalb diese hochkarätige Versammlung
                einberufen wurde, wogen freilich schwer: Seit 1378 war die katholische
                Kirche durch das Große Abendländische Schisma gespalten
                und drohte zu zerfallen. Drei Päpste gab es zu Beginn des
                Konzils. Um die erneute Einigung unter einem einzigen Papst herbeizuführen
                und dringend nötige Reformen im klerikalen System auf den
                Weg zu bringen, wurde also 1414 ein Konzil einberufen, das auf
                Betreiben des deutschen Königs und späteren Kaisers
                Sigismund von Luxemburg erstmals in der Geschichte der Kirche überhaupt
                nördlich der Alpen stattfinden sollte.  Die Situation war kirchenrechtlich gesehen in höchstem
                Maß kompliziert. Der Papst an der Spitze der Kirche war
                mit dem Selbstgefühl ausgestattet, Gottes Stellvertreter
                auf Erden zu sein. Wie konnte da eine Kirchenversammlung, ein
                Konzil, darüber verfügen, dass der Papst abgesetzt
                würde? Die Absetzung der drei schismatischen Päpste
                jedoch war die Voraussetzung dafür, dass der Weg für
                die Wahl eines neuen einzigen Papstes frei wurde. Es war ein
                zähes und unerbittliches Ringen unter den Konzilsvätern,
                und letztlich war es König Sigismund zu verdanken, dass
                die disparaten machtpolitischen Hegemoniebestrebungen gebündelt
                werden konnten und die Versammlung so lange zusammenblieb, bis
                gerade diese schier unüberwindliche Hürde genommen
                war. Zwei entscheidende, berühmt gewordene Dekrete mussten
                hierfür verabschiedet werden: „Haec Sancta“ und „Frequens“.
                Die Benennungen leiten sich jeweils von den Anfangswörtern
                der Dekrettexte ab. Das erste Dekret legte den Superioritätsanspruch
                des Konzils gegenüber dem Papst fest, das zweite hatte die
                Verpflichtung auf regelmäßig einzuberufende Konzilsversammlungen
                zum Inhalt. Schließlich gelang es, die bisherigen Päpste
                abzusetzen und mit der Wahl des neuen Papstes Martin V. Colonna
                die Einheit der katholischen Kirche zu konstituieren.  Die dringend notwendigen innerkirchlichen Reformen konnten in
                Konstanz dann aber nicht mehr auf den Weg gebracht werden, und
                so gelang es nicht, heterodoxe Strömungen wieder an die
                katholische Kirche anzubinden. Somit gilt das Konzil von Konstanz
                zugleich als Nukleus der Reformation, da sich in der Folge das
                reformatorische Gedankengut weiter ausbreitete. Als Vorgänger
                Martin Luthers gilt der böhmische Gelehrte Jan Hus, der
                in Konstanz für eine Erneuerung des Glaubens eintrat und
                schließlich 1415 während des Konzils als Ketzer verbrannt
                wurde. Sein tragisches Schicksal wirft bis heute einen langen
                Schatten über das Weltereignis von einst.   Ulrich Richental, Konstanzer Bürger und Zeitzeuge des Konzilgeschehens,
                hielt das turbulente Treiben in einer reich illustrierten Chronik
                fest, die noch heute die bedeutendste Quelle zur Konzilsgeschichte
                darstellt. In seinen berühmt gewordenen lebendigen Schilderung
                und Illustrationen leuchten zugleich Bürgerstolz und glanzvolle
                Selbstdarstellung der Stadt auf.  Für das Selbstverständnis des geeinten Europa von
                heute ist das Konstanzer Konzil ein Meilenstein, denn der weitere
                Verlauf der Geschichte der gesamten christlichen Welt hängt
                entscheidend vom Ausgang des Konzils ab. Die römisch-katholische
                Kirche ist bis auf den heutigen Tag unter einem Papst geeint,
                und auch die Dekrete und Diskurse wirken bis heute nach. Theologen
                und Universitätsgelehrte rangen vier Jahre lang um die Interpretation
                und Formulierung von Glaubensinhalten und Kirchenrecht. Königen,
                Fürsten und Adel ging es um die Neuordnung des Machtgefüges
                in Europa und um ihre Positionierung. Es wurde repräsentiert,
                gerungen, verhandelt, recherchiert, gelehrt, geschrieben, diskutiert,
                musiziert, und es wurden unzählige Gottesdienste gefeiert.
                Man traf sich bei Turnieren, in der Schenke, in den Versammlungen,
                bei Veranstaltungen. Es wurde gelebt, gestorben, befördert,
                gebannt, geadelt, getadelt, getauscht, gekauft, gehandelt und
                verbandelt – all das über vier Jahre hinweg in einer
                solchen Dichte und Konzentration, dass man aus heutiger Sicht
                zu sagen geneigt ist, in Konstanz wurde die Welt ein Stück
                weiter bewegt. Das Konstanzer Konzil steht am Übergang zu
                einer neuen Epoche, die mit einer geänderten Sicht auf die
                Welt sich auszustatten begann. Es war die Renaissance, die heraufdämmerte,
                und möglicherweise hat das Konstanzer Konzil dieses Heraufdämmern
              ein Stück weit beschleunigt. |