| Ein Rundgang
                      durch die Ausstellung „Jungsteinzeit im Umbruch“ mit
                    dem Kurator  Rund ein Jahrtausend nach der Einführung der sesshaften
                      und produzierenden Lebensweise in Mitteleuropa kam es gegen
                      Ende des 5. und im Verlauf des 4. vorchristlichen Jahrtausends
                      zu tief greifenden Veränderungen. In materieller Kultur,
                      Wirtschaftsweise, Siedlungswesen und im Hausbau, aber auch
                      in der Gesellschaft und der geistigen Vorstellungswelt
                      lässt sich vielerorts ein Traditionsbruch mit den
                      alt- und mittelneolithischen Vorgängerkulturen feststellen.
                      Die Ausstellung beleuchtet diese gravierenden Veränderungen
                      und den folgenreichen Kulturwandel in Mitteleuropa und
                      angrenzenden Regionen. 1. Die Michelsberger Kultur Die Michelsberger Kultur (ca. 4300-3500 v. Chr.) erstreckt
                        sich von Südwestdeutschland bis in die südlichen
                        Niederlande, von Belgien nach Ostfrankreich und zum Teil
                        bis nach Mitteldeutschland. Am Namen gebenden Fundplatz,
                        dem Michaelsberg bei Bruchsal (Landkreis Karlsruhe),
                        wurden schon vor über 125 Jahren erstmals Funde
                        aufgelesen und als prähistorisch bestimmt; vor 120
                    Jahren fanden dort erstmals Grabungen statt.
  Charakteristisch
                      für diese Kultur sind so genannte
                      Erdwerke: mit einem oder mehreren Gräben und Wall
                      umgebene Plätze, deren Innenfläche zwischen einem
                      halben und bis zu 100 Hektar einnehmen kann. Eine in der
                      Ausstellung im Maßstab 1:1 nachempfundene Eingangssituation
                      zu einem solchen Erdwerk sowie ein Modell einer Anlage
                      im Maßstab 1:200 bilden im ersten Ausstellungsteil
                      Sammel- und Ausgangspunkte für die Diskussion um die
                      Funktion der Erdwerke. Handelte es sich um befestigte Siedlungen,
                      Kultareale, Fluchtburgen oder Bestattungsplätze? Im
                      umgebenden Ausstellungsbereich werden charakteristische
                      Funde der Michelsberger Kultur vorgestellt und diskutiert.
 2. Nachbarkulturen 
  Die Michelsberger Kultur fällt auch in die Zeit eines
                      zweiten Landnahmeprozesses. Von nun an werden Feuchtbodenstandorte
                      („Pfahlbauten“) erstmals besiedelt. Zur gleichen
                      Zeit kam es auch zu einer Ausbreitung der neolithischen
                      Lebensweise in die Norddeutsche Tiefebene. Exemplarisch
                      werden Nachbarkulturen der Michelsberger Kultur anhand
                      kulturtypischer Keramikgefäße vorgestellt. Einen
                      Schwerpunkt bildet Fundgut aus den Pfahlbauten: Aufgrund
                      der Erhaltung des organischen Materials zeigen sie ein
                      sehr breites Spektrum. Die besondere Fundsituation erlaubt
                      unter Zuhilfenahme verschiedener naturwissenschaftlicher
                      Analysen hochauflösende und präzise Beobachtungen
                      zu Siedlungsentwicklung und prähistorischer Lebenswirklichkeit.
                      Zentrale Anlaufstelle und Installation ist in der Ausstellung
                      der Teilnachbau eines steinzeitlichen Hauses vom Bodensee,
                      bei dem die Innenwand mit naturalistisch geformten Brüsten
                    aus Lehm verziert war. 3. Kulturgeschichte 
  Die Ausstellung verändert nun ihre Erzählperspektive:
                      Sie führt weg von der Betrachtung einzelner Kulturen
                      und Kulturräume sowie ihrer materiellen Hinterlassenschaften
                      und wendet sich hin zu den kulturgeschichtlich bedeutsamen
                      Veränderungen und Neuerungen, die sich im Laufe des
                      4. Jahrtausends v. Chr. bemerkbar machen. Sie verändern
                      den Gang der Entwicklung zum Teil nachhaltig. Das Augenmerk
                      liegt dabei auf den Abhängigkeiten und Wechselwirkungen
                    der einzelnen vorgestellten Faktoren. 3.1. Landwirtschaft 3.1.1 Ackerbau
 Eine Bodenverschlechterung auf den seit dem Beginn des
                      Ackerbaus genutzten Flächen und der Anbau neuer anspruchsvoller
                      Getreidesorten bedingten ab dem ausgehenden 5. Jahrtausend
                      v. Chr. neue Anbaumethoden (Brandrodungswanderfeldbau).
                      Sie zwangen zu einer Ausweitung der Ackerflächen auf
                      weniger ertragreiche Böden, zu einer verstärkten
                      Anpassung an die örtlichen Gegebenheiten (Diversifizierung
                      und Spezialisierung) sowie zur Einführung neuer Anbauprodukte
                      (Nacktweizen). Die neue Form der Landwirtschaft bewirkte
                      die periodische Verlagerung von Siedlungsplätzen und
                      machte die Ausbreitung des Neolithikums etwa nach Norddeutschland
                    wahrscheinlich erst möglich.
 3.1.2 Veränderung Mensch/Tier-Beziehung 
  Seit dem Beginn der landwirtschaftlichen Produktionsweise
                        stand bei der Tierhaltung die Fleischgewinnung im Vordergrund.
                        Mit dem ausgehenden 5. Jahrtausend wurden verstärkt
                        Sekundärprodukte der Tiere (etwa Milch, Arbeitskraft)
                        genutzt, und spätestens seit dem Ende des 4. Jahrtausends
                        auch die Wolle von Schafen („Secondary products
                        revolution“). Aus dieser Zeit gibt es auch die
                        frühesten belastbaren Belege für die Ausnutzung
                        der tierischen Arbeitskraft (Zugtier) und die Erfindung
                    des Rades. 3.2 Siedlungswesen Auf Veränderungen in der Sozialstruktur und der Zusammensetzung
                      der Familienverbände weisen veränderte Hausgrößen
                      hin. Gleichzeitig lässt sich ein langfristiger Trend
                    vom lockeren Siedlungsverband zum geordneten „Straßendorf“ feststellen.
 3.3. Neue Werkstoffe Als neuer Werkstoff tritt das Metall in Form von Kupfer
                        in Erscheinung. Die zuvor ausschließlich verwendeten
                        Rohmaterialien Holz, Ton, Gesteine, Knochen, Gehörn
                        wurden in nur wenig verändertem Zustand bearbeitet
                        und standen fast überall zur Verfügung. Im
                        Gegensatz dazu können Metalle im Naturzustand (Erz)
                        nicht unmittelbar erkannt und bearbeitet werden. Für
                        Gewinnung und Verarbeitung ist ein Prozess notwendig,
                        der eine lange Erfahrung voraussetzt. Zunehmende und
                        durch die Versorgung mit dem neuen Rohstoff auch weit
                        reichende Kontakte führten zur Produktion von Gütern über
                        den eigenen Bedarf hinaus, was langfristig arbeitsteilige
                        Prozesse und Spezialisierung förderte und Einfluss
                    auf die gesellschaftliche Entwicklung hatte.
  Neben den
                        Kupferartefakten sind hier auch die ältesten Edelmetallfunde
                        Mitteleuropas (vor allem Gold und ein Silberobjekt) in
                        Form von Schmuckscheiben zu bewundern. Spezialisierter
                        Abbau verschiedener Rohmaterialien für einen „europäischen
                        Markt“ (Jadeitbeile aus den Westalpen; Silexbergwerke
                    in Spiennes und Rijkholt) sind hierfür weitere Beispiele.
 3.4. Gesellschaftliche VeränderungenEng verknüpft mit den Fragen der Spezialisierung und
                      dem neuen Rohstoff Metall ist auch die Herausbildung von
                      Eliten. Eliten lassen sich an so genannten „Prestigegütern“,
                      Objekten aus seltenen, wertvollen Rohmaterialien (Gold,
                      Kupfer, Jadeit), die in erster Linie der Zurschaustellung
                    dienten und keinen praktischen Nutzen hatten, nachvollziehen.
 Der Bedarf an solchen, nur an wenigen Plätzen verfügbaren
                      Rohstoffen war europaweit vorhanden und wurde entsprechend
                      bedient (Netzwerke). 3.4. Religiöse VorstellungsweltVeränderungen in den Bestattungs- und Deponierungssitten
                      und neue Kultpraktiken lassen auf einen Wandel in der religiösen
                      Vorstellungswelt schließen. Mitteleuropa liegt im
                      ausgehenden 5. Jahrtausend im Spannungsfeld zwischen der
                      im Westen vorherrschenden Kollektivgrabsitte und den geschlechtsdifferenzierten
                    Bestattungssitten im Karpatenbecken.
 Für das 4. Jahrtausend gibt es vereinzelt Hinweise
                      auf monumentale Einzelgräber; seit der 2. Hälfte
                      des 4. Jahrtausends setzt sich auch in Mitteleuropa die
                      Kollektivgrabsitte durch. 4. Ausblick Die Zeit des ausgehenden 5. und 4. Jahrtausends ist weltweit
                        von Bedeutung. Der Teil verbindet die in der Ausstellung
                        thematisierten Veränderungen in Mitteleuropa mit
                    anderen Räumen und Weltgegenden.
 5. Rezeption (Foyer) Das Badische Landesmuseum hat von den 1870er-Jahren an
                        immer wieder Objekte aus dem Bereich der „Pfahlbauten“ des
                        Bodensees und der Schweizer Seen von verschiedenen Sammlern
                        erworben, darunter dem „Entdecker“ der Pfahlbauten
                        des Bodensees, Kaspar Löhle, einem Bauern aus Wangen,
                        Ludwig Leiner, dem Gründer des Rosgartenmuseums
                        in Konstanz, Franz Xaver Ullersberger, einem Apotheker
                        aus Überlingen und Victor Gross, einem Westschweizer
                        Sammler. Der Ausstellungsbereich stellt einige der Persönlichkeiten
                        dieser „Deals“ exemplarisch vor, und vermittelt
                        dadurch einen Blick auf die im Aufbau befindlichen Sammlungen
                        des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Prägend für
                        den Zeitgeist und die Vorstellung von der Urgeschichte
                        war auch das in der Malerei des ausgehenden 19. Jahrhunderts
                        als „Pfahlbauromantik“ bezeichnete Genre,
                        das ebenfalls in diesem Ausstellungsbereich vorgestellt
                    wird.
 Dr. Clemens Lichter, Kurator der Sonderausstellung „Jungsteinzeit
                    im Umbruch“  |