|  Hier zeigt 
                er seine Mutter noch im Halbprofil mit präzise gezogenem Mittelscheitel. 
                Erwählteinen natürlich schimmernden Hautton, rosige Wangen, rote 
                Lippen, dazu ein violettes Einstecktuch. Auch diese direkte Farbigkeit 
                verwirft er. Er hat das kleine Zeichenblatt umgedreht und zeichnet 
                seine Mutter nun in einer reinen Profilansicht, wie sie sie bereits 
                die italienische Frührenaissance im Anschluss an antike Münzportraits 
                bevorzugte. Diese Darstellungsform bietet ein linear gut fassbares, 
                markantes Individualbild. In einer weniger künstlerisch ausgerichteten 
                Familie wäre man der großen Liebhaberei des 18. und 1 Q.Jahrhunderts 
                gefolgt: der Umriss wäre mit der Schere in ein Stück schwarzes 
                Papier "gezeichnet" und als Silhouetten- oder Scherenschnitt aufbewahrt 
                worden.Der Sohn zeigt seine Mutter als konzentriert-beschäftigte Frau. 
                Lichtglanz fällt nun auf ihre schwarzen Haare, die zu einem kleinen 
                Knoten auf dem Hinterkopf gedreht und mit einem schwarzen, filigran 
                mit der Pinselspitze gezeichneten Spitzenbändchen verziert sind. 
                Sie trägt ein einfaches, über der Brust gefälteltes, grauviolettes 
                Kleid mit langen Ärmeln, ein helles Tuch um den Hals geschlungen, 
                das in den kleinen runden Ausschnitt gesteckt ist. Als Schmuck 
                trägt sie an der linken Hand einen schmalen Ehering. Dünne, dunkle 
                Haarsträhnen haben sich aus ihrer Frisur gelöst und ringeln sich 
                in zarten Linien um das präzise gezeichnete Ohr, an dem ein kleiner, 
                tropfenförmiger Perlohrring hängt.
 Guido Schmitt beobachtet und veranschaulicht ein alltägliches 
                Geschehen in einem Künstlerhaushalt: Was tut Frau Schmitt da eigentlich? 
                Sie blickt auf ihre vor die Brust gehaltenen Hände. Darunter entdeckt 
                man kleine Schnipsel in der Mitte am unteren Bildrand. Eva Katharina 
                Schmitt, geborene Kaysser (1808 - 1888), ist dabei, einen Federkiel 
                zuzuschneiden. Sie führt das schwarze Federmesserchen von sich 
                weg, um dem rundlichen Ende einer Gänsefeder eine schreib- oder 
                zeichentaugliche Spitze zu schneiden. Guido Schmitt portraitiert 
                diese wichtige Vorarbeit fürs Zeichnen gleich mit.
 Der Gänsekiel ermöglicht dem Zeichner einen feineren Strich entgegen 
                dem ursprünglichen Instrument, der Rohrfeder. Bereits im ^.Jahrhundert 
                beschreibt der Maler Cennini ausführlich das Zurichten von Gänsefedern. 
                Mit dem Federmesser wird die Spitze nachgeschnitten und dann von 
                innen angeritzt, so fließt die Tinte oder Tusche auch bei leichtem 
                Druck.
 Im März 1833 lernen sich der Maler Georg Philipp Schmitt und die 
                Bäckerstochter Eva Kaysser kennen. Sie heiraten, 1834 wird ihr 
                erster Sohn Guido geboren. Als dieser die Mutter malt, ist sie 
                vierzig Jahre alt, sechs Kinder hat sie geboren. Er portraitiert 
                in den nächsten Jahren immer wieder die Familie bei verschiedenen 
                Tätigkeiten: den Jüngsten schlafend auf einem prallen Kissen, 
                die Mädchen strickend, lesend, träumend, in blauen, grünen oder 
                violetten Kleidern, die dem der Mutter gleichen. 1852 malt Guido 
                Schmitt ein Ölbild der Mutter. Wir sehen auf diesen Bildern nicht 
                die berühmten Frauengestalten der Romantik sondern Heidelberger 
                Mädchen und Frauen - Katharina, Elise, Josephine, Amalie - die 
                in ihrer "Anmuth als Krone der weiblichen Schönheit" gezeigt werden. 
                Es sind die zu ehrenden Frauen, die "flechten und weben himmlische 
                Rosen ins irdische Leben", sie sind die "Töchter mit schamhafter 
                Sitte, treue Töchter der frommen Natur". Diesen "liebenden Fleiß" 
                zeigt der jugendliche Maler, die "züchtige Hausfrau, die Mutter 
                der Kinder" (Friedrich Schiller).
 Der Vater unterrichtet seine beiden Söhne (über die Töchter ist 
                nichts zu erfahren, außer dass sie ledig bleiben), fördert ihre 
                künstlerischen Fähigkeiten. Er portraitiert Guido 1848, malend, 
                die Zeichenmappe auf den Knien, mit Wasserglas und Pinsel, als 
                jungen, angehenden Künstler, der genau die Farben auf seiner Palette 
                hat, mit denen er im gleichen Jahr seine Mutter malt: blau, schwarz, 
                gelb, rot. Guido ahmt nach, probiert, übt sich in verschiedenen 
                Techniken. Das realitätsorientierte Porträtieren ermöglicht ihm 
                1859 eine Künstlerkarriere in England, dort lebt und arbeitet 
                er fast dreißig Jahre lang.
 Guido Schmitt kehrt 1885 nach Heidelberg in das Elternhaus am 
                Klingenteich 6 zurück, 1922 stirbt er fast neunzigjährig auf einem 
                Spaziergang.
 Angelika 
                Dirscherl  
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