|                       „Licht fangen – den
                      magischen Moment der Fotografie des 19. Jahrhunderts ausloten – heißt
                      neben den künstlerischen und psychologischen Dimensionen
                      auch die Kultur- und Mediengeschichte der Fotografie in
                      den Blick nehmen. Es gilt, den Rahmen abzustecken für
                      die Entwicklung eines Mediums in einem Jahrhundert, von
                      dem man sagt, es sei das Jahrhundert des Bürgertums
                      gewesen. Bekanntlich war die Fotografie, neben dem Brief
                      und der Presse, ein bevorzugtes Kommunikationsmittel des
                      Bürgertums. So liegt es auf der Hand, Movens und Charakter
                    dieses neu entdeckten Mediums näher zu betrachten. Die Fotografie stiftete Sinn und Zusammenhalt im Bürgertum.
                      Sie belehrte und vergnügte. Sie trug zur Verbreitung
                      der bürgerlichen Tugend- und Ordnungsvorstellungen
                      bei. Der Gang zum Fotografen wurde seit Mitte des 19. Jahrhunderts
                      zum bürgerlichen Ritual. Die Atelierinszenierung wurde
                      konstitutives Merkmal bürgerlicher Kultur. Zwar zielte
                      der Abbildungswunsch des Publikums auf eine „Individualisierung“,
                      doch insgesamt entstand durch das Atelierporträt eine
                      Art „bürgerliche Typologie“. Fotografie wurde zur Dokumentation von Familiengeschichten,
                      Reisen oder kulturellen und politischen Loyalitäten
                      genutzt. Die Welt, wie sie abgebildet wurde, war eine von bürgerlichen
                      Sichtweisen geprägte Welt. Das ist bei jeder Betrachtung
                      von heutiger Warte aus zu berücksichtigen. Die Fotografie hatte sich neben Kunst und Wissenschaft
                      als drittes Standbein bürgerlicher Kultur etabliert. Die Fotografie transportierte bürgerliche Leitfiguren
                      („große Persönlichkeiten“, „Persönlichkeitstypen“). Umgekehrt gewährt uns die fotografische Praxis auch
                      Einblick in Tabu- und Grenzbereiche bürgerlicher Kultur. Damit stößt die historische Bildforschung – über
                      die traditionelle Interpretation schriftlicher Quellen
                      weit hinausgehend – bislang verschlossene Türen
                      zu einem umfassenden mentalitätsgeschichtlichen Verständnis
                      der Lebenswelten des Bürgertums im 19. Jahrhundert
                    auf.“  Textauszug aus dem Katalog zur Ausstellung:LICHT FANGEN. Zur Geschichte der Fotografie im 19. Jahrhundert.                      Erscheint
                      bei snoek, Köln: ISBN 978-3-940953-28-5. 
                      Mit Essays aus Beiträgen zur Tagung, die in Kooperation
                      mit dem                      SWR2 als Vorbereitung zur Ausstellung in Baden-Baden stattfand.
 Katalogbeitrag von Dr. Eberhard Illner,                      Direktor
                      Historisches Zentrum und Fuhlrott-Museum, Wuppertal
 
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