| Giandomenico (Giovanni Domenico) Tiepolo, 1727 in Venedig
                als ältester Sohn Giovanni Battista Tiepolos geboren, war
                Schüler seines bedeutenden Vaters und als solcher früh
                in dessen Werkstatt tätig. In seinem Oeuvre orientierte
                er sich an dessen Bildfindungen, die er in der ihm eigenen Art
                weiterentwickelte.
                          
               
 Tiepolos „Flucht nach Ägypten“ geht weit über
                die Darstellung der tradierten Motive hinaus und umfasst eine
                Folge von insgesamt 27 Radierungen, die mit ihrer Innovationskraft
                zu den Hauptwerken italienischer Graphik des 18. Jahrhunderts
                gehören. Sie entstanden mehrheitlich im zeitlichen Kontext
                der Ausmalung des Kaisersaals und des Treppenhauses der Neuen
                Residenz in Würzburg durch die Tiepolo. Den insgesamt 24 Blättern, die verschiedene Stationen der
                Flucht der Heiligen Familie schildern, sind Titel, Frontispiz
                und Widmung vorangestellt. Letztere datiert die Folge auf das
                Jahr 1753 und widmet sie dem Würzburger Fürstbischof
                Carl Philipp von Greiffenclau, Tiepolos seinerzeitigem Dienstherren. Das neunte Blatt der Folge zeigt einen dreizonigen Bildaufbau
                des Landschaftsraumes. Im Vordergrund erscheint auf einem Höhenweg,
                gleichsam wie auf einer Bühne, rechts die Figurengruppe
                der Flüchtenden. Links verstellen einige Bäume den
                direkten Blick in den Mittelgrund, in ein Tal, in dem sich eine
                Ansiedlung, der Architektur nach zu schließen ein Tiroler
                Städtchen, erstreckt. Der Blick des Betrachters, der direkt
                auf die prominent präsentierte Heilige Familie im Vordergrund
                gelenkt wird, streift weiter in den Hintergrund zum Himmel, an
                dem ihn, gleichsam in einem zyklischen Verlauf, neben drei Engeln
                zwei lineare Strahlenbahnen wieder zurück zur Figurengruppe
                im Vordergrund führen. Die Diagonalen erschließen
                den Raum, strukturieren und dynamisieren die Komposition. Zur Charakterisierung der Familie in dieser Situation greift
                Tiepolo dezidiert das kompositorische Grundschema einer Dreiecksform
                auf, indem er Joseph sich Mutter und Kind zuwenden lässt
                und präsentiert die drei auf diese Weise untrennbar verbunden,
                als fest gefügte Einheit. Verstärkt wird dieser Eindruck
                noch durch die ineinander verwobenen Blickachsen, die innige
              Hinwendung Marias und Josephs zum Jesusknaben. Bild: 
    Museum (E. Kemmet)                             Text: kmh, Anja-Maria Roth |