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            |  | Tagebuch eines badischen
                  Soldaten des I. Weltkrieges               Thomas Adam, Bruchsal   |  
            | Der
                folgende Text, der an dieser Stelle* erstmals veröffentlicht
                wird, besitzt einen besonderen historischen Wert. Es handelt
                sich um das wortgetreu wiedergegebene Tagebuch eines vermutlich
                aus Baden-Baden oder Rastatt in Baden stammenden deutschen Soldaten
                des I. Weltkrieges, der als Angehöriger der 4. oder 6. deutschen
                Armee seit Oktober 1914 beim Kampf in Belgien nahe der Nordsee
                an der französischen Grenze eingesetzt war und, so lassen
                die Tagebucheintragungen schließen, bereits einen Monat
                später, vermutlich am Sonntag, dem 22. November 1914, bei
                Ausschachtungsarbeiten an Schützengräben fiel. Das
                75 Jahre alte Tagebuch zwingt seinen Leser, den Krieg von
                unten" zu betrachten: nicht vom eleganten Tisch der Befehlshaber
                aus, sondern aus dem Blickwinkel derjenigen, für die das
                Ziel eines Krieges nicht in hehren nationalistischen Idealen
                oder politischen Wahnvorstellungen liegt  sondern allein
                darin, zu überleben. Nach der Lektüre der knapp fünfundvierzig,
                mit Bleistift geschriebenen Seiten des kleinen Tagebuches beschränkt
                sich Geschichtswissen nicht mehr länger auf Kenntnisse um
                Geschehen in der Obersten Heeresleitung; hier werden Soldaten
                zu Hauptdarstellern.  Anmerkung:
                    Runde Klammern ( ) im Text des Tagebuches stammen von der
                    Hand des unbekannten Soldaten; eckige Klammern [ ] wurden
                    vom Herausgeber für weiterführende Erläuterungen
                    gesetzt. Die z. T. eigenwillige Rechtschreibung und Grammatik
                    wurde originalgetreu beibehalten.  |  
            | Tagebuchtext 
                   13. Oktober
                      1914 
                   Bahnhofswache
                      von 81.28h. Ausfahrt 1.28 Fahrt über Schwetzingen
                      Friedrichsfeld. Wenig Schlag, unbequeme Sitzgelegenheit.
                      Gute Stimmung der Mannschaft. Liebesgaben an Bahnhöfen
                      sehr viel und von netten Leuten, tadelloses Wetter wunderschöne
                      Landschaft. 
                   14. Oktober
                      1914 
                   Von 7 ½ h
                      morgens in Heppenheim Wagenwache bezogen bis 12h mittags.
                      Eingetroffen an 12 Uhr in Bingerbrück. Mittagessen
                      tadelloses Wetter. Rheinstrom grossartig. Abfahrt 1 ½ Uhr
                      [13.30 h] nach Remagen. 
                   15. Oktober 
                   Nachts bei Ulfingen über
                      Luxembourgische Grenze, von da nach Gouvy in Belgien. Erste
                      grössere Station Bastogne. Bevölkerung zum Teil
                      vorhanden. Kleine Mädchen verkaufen am Bahnhof Cigaretten
                      etc. Auf der Strecke lagen einige zerbrochene verbrannte
                      Eisenbahnwagen. Auf dem Bahnhof Bastogne lag ein deutscher
                      Panzerzug. Bei Morhet Zugentgleisung eines vorausfahrenden
                      Zuges. Nachts durch Namur [Namen]. 
                   16. Oktober
                      1914 
                   Morgens durch
                      Tamines, Aisseau [richtig: Aiseau, nahe Charleroi]; Orte
                      stark zerschossen. Bevölkerung verkauft Chokolade,
                      Cigaretten etc. Durch Bahnhofsbeamte kauften wir belgischen
                      Rotwein. Alles in tadelloser Stimmung. Jetzt gehts nach
                      der Französischen Grenze. Charleroi durchfahren, Bahnen
                      etc alles in tadelloser deutscher Verwaltung. Ausladen
                      in Grammont [Geerardsber-gen], abends Nachtmarsch nach
                      Everbeke [richtig: Everbeek]. 
                   17. Oktober
                      1914 
                   Quartier Everbeke.
                      Nette Leute tadellose Verpflegung, alles flämisch.
                      Bis morgens 5 Uhr Caffee. Abmarsch nach Brück [vermutlich
                      ist Nederbrakel gemeint]. Nachts 2 Stunden nach Quartier
                      gesucht. Wieder sehr nette Leute. 
                   18. Oktober
                      1914 
                   Abmarsch von
                      Brück an 5 Uhr nachmittags. Nachtfahrt; in Oudenaarde
                      [Audenarde] durchkommend bis Zulte. Ankunft 2V2 h Nachts.
                      Massenquartier in der Reitbahn und Wohnung eines Rennpferdtrainers.
                      Ebenfalls alles flämisch; Bewohner sehr entgegenkommend. 
                   19. Oktober
                      1914 
                   Abmarsch von
                      Zulte gegen 9 ½ h morgens, fast alles im Trab. Unterwegs
                      alles mit durchfahrenden Colonnen etc besetzt. 
                   20. Oktober
                      1914 
                   Ankunft in [Angabe
                      fehlt]. Im Freien auf dem Acker übernachtet. Morgens
                      Abfahrt Roulers [Roeselare]. In Roulers sehr viel zerschossen
                      + verbrannt da Franctireur [auch: Francs-tireurs, franz.
                      Freischützen, die im Rücken der Deutschen Partisanenkrieg
                      führten] 11 deutsche Soldaten nachts in den Quartieren
                      ermordet hatten. Abmarsch von [unleserlich] morgens 9 Uhr
                      nach der Front. 
                   21. Oktober 
                   Da Auftrag hatte
                      verschiedene Colonnen zur Befehlsabholung zu veranlassen,
                      so kam zu spät zum Abmarsch. Wir gingen zu FUSS, verfehlten
                      aber den Weg und kamen statt nach Morlede [Moorsiede] nach
                      Oostnieuwkerke. Dort wurden wir vom Stab veranlasst mit
                      einem Proviant-Transport nach der ersten Artillerie-Staffel
                      zu fahren, ausserhalb des Ortesbekamen wir aber bereits
                      Skrapnellfeuer, so dass umkehren mussten, fuhren dann über
                      Roulers nach Morslede und fanden dort unsere Colonne, wo
                      schon als vermisst galten. In Morlede entluden wir am 22.
                      unsere Munition, da dort in der Nähe seit dem Morgen
                      eine Schlacht im Gang war. Es wurde am 224-23 heftig gekämpft
                      in der Nähe brennt .alles. Die ganze Nacht vom 22/23
                      standen wir bereit weitere Munition abzugeben. Gegen 5
                      Uhr morgens am 22. rückten wir ab um neue Munition
                      zu holen. Der Kampf dauert nun schon 2 Tage. Deutscherseits
                      kämpfte bisher 1. Freiwilligen Armeekorps, während
                      auf der engl. Seite ca. 2. Korps im Einsatz waren. Verstärkung
                      soll bereits eingetroffen sein. [Vom 17. Oktober bis Ende
                      November 1914 rannte das 27. deutsche Reservekorps bei
                      Zonnebeke, dem östlichsten Punkt des sogenannten Ypernbogens,
                      erfolglos gegen die Briten an. Erst im Juni 1915 wurde
                      das umkämpfte Gebiet von der 4. Armee genommen.] 
                   22. Oktober 
                   Abmarsch nach
                      Courtrai [Kortrijk] für Munition. 
                   23. Oktober
                      1914 
                   Nachts Ankunft
                      in Courtrai. Auf dem Wagen übernachtet, da Munition
                      noch nicht eingetroffen. Grössere hübsche Stadt.
                      Da Munition noch nicht eingetroffen haben wir heute wieder
                      bei [Madame] Jacques übernachtet. Eine sehr nette
                      Frau, die uns auch Abendessen bereitet. Vor allen Dingen
                      schmeckt mir der Caffee + die Tartin [Käse?] Portion ä 20
                      Cts (sehr billig.) Die Stadt hat in den Hauptstrassen ziemlich
                      stark französischen Charakter. 
                   24. Oktober 
                   Ganzen Tag Ruhe.
                      Beim Secretair des Bürgermeisters die Logierzettel
                      geordnet. In Courtrai konnten keine Munition erhalten. 
                   25. Oktober
                      1914 
                   Abfahrt an 10 ½ h.
                      Auf einer kleinen Station ungefähr 1015 Kilometer
                      von Courtrai Munitionsempfang. Dort am Bahnhof Eintreffen
                      von grossen Verwundeten Transporten von der jetzt bereits
                      7 Tage dauernden Schlacht bei Zoonbeke [Zonnebeke]. Weiterfahrt
                      bis zur leichten Colonne Nachts 89 Uhr. In unserem
                      Wagen Nr. 19 ab fuhren wir dann Nachts mit der leichten
                      Colonne bis auf ca. 8001000 meter an unsere Batterien.
                      Das Feuer war sehr stark. Es regnete andauernd; alles vollkommen
                      durchnässt. Unterwegs bei der Fahrt durch die Felder
                      und Gräben fiel ein Fahrzeug in den Graben + eines
                      fuhr in eine Hecke. Bis l Uhr hatten wir zu tun. An 2 Uhr
                      waren wir wieder in Roulers und suchten uns zu Dritt ein
                      Quartier, wo wir früh schliefen. 
                   26. Oktober 
                   Kaffee beim
                      Quartierwirt, dann noch in einer kleinen Gastwirtschaft,
                      Mittags Fleisch + Reisabkochen bei sehr netten Leuten,
                      die ich ausfindig machte. Mittags kam ein feindlicher Flieger über
                      die Stadt und warf 5 Bomben; es wurden l Mann (Belgier)
                      getötet, einer verletzt + 3 Frauen ebenfalls. Mittagessen
                      bei sehr netten Frauen; haben für alle gekocht und
                      hübsch gedeckt. Von abends 6 Uhr bis 27ten 6 Uhr Wache,
                      als Strafe für Quartiermachen. Mittags am 27. erschien
                      abermals Flieger, warf Bombe aber ohne Resultat. Nachts
                      geschlafen im Stall. 
                   27. Oktober 
                   Am 27 Morgens
                      Abmarsch nach Oostnieuwkerke von da Marsch nach Norden
                      bis Bahnstation Lichtervelde, eine nette kleine Stadt.
                      Vollständig von Deutschen besetzt. Die Strasse von
                      Roulers nach Lichtervelde ist eine wunderbare gerade Allee,
                      die ca 15 km vollständig gerade läuft. Abends
                      warf ein Flieger Leuchtkügelchen. Ankunft Abends gegen
                      8 Uhr. Quartier in einem sehr guten Stall vis a vis dem
                      Bahnhof. In der Stadt ist sonst sehr viel Pferdehandel,
                      daher lauter gute Ställe. Brot, Zucker, Chokolade
                      + Cigaretten, wie fast überall vollständig ausverkauft.
                      Vormittags am Bahnhof Munitionsempfang, dann Abmarsch nach
                      Oostnieuwkerke über Roulers. Nachmittags bis Abends
                      Munitionsabgabe an die leichte Colonne. Die Schlacht dauert
                      nun schon seit 10 Tagen. Nacht Quartier in Oostnieuwkerke. 
                   30. Oktober 
                   Morgens den
                      30. gegen 7 Uhr brannte unweit von uns ein ganzer Stall
                      eines Gehöftes durch Umstossen einer Petroleumlampe
                      ab. Die Nacht von 29 auf 30. hatte ich Wache am Nordausgang
                      von Oostnieuwkerke. Am 30. und 31. blieben wir in Oostnieuwkerke
                      an beiden Tagen ereignete sich nichts Besonderes. 
                   31. Oktober 
                   Am 31. war Löhnungsapell.
                      Seit einigen Tagen kommen auf der Strasse nach Oostnieuwkerke
                      immer Infanterie Verstärkungen an. Heute ist der 12
                      Schlachttag und man hofft, dass die Entscheidung in den
                      aller nächsten Tagen fallen muss. Die Verwundeten
                      Transporte die hier passieren sind sehr gross, die Lazarette
                      in Roulers etc. sind vollkommen überfüllt, sodass
                      die Verletzten möglichst nach Deutschland per Bahn
                      abtransportiert werden. Ein Verwundeter, Infanterist aus
                      Bonn, dem wir in unserem Quartier Brod + Caffee gaben,
                      erzählte, dass es draussen schrecklich ist und dass
                      viele beim Essenholen verwundet werden, wie er auch selbst.
                      Es sollen nach seiner Aussage am 29 und 30. ca 7000 Franzosen
                      gefangen genommen worden sein. Die französische Artillerie
                      soll grossartig schiessen, dagegen die Infanterie schlecht. 
                   1. November
                      1914, Sonntag, Allerheiligen  
                   Heute sind wir
                      immer noch im Quartier in Oostnieuwkerke. Die Artillerie
                      schiesst schon seit gestern Nacht direct Schnellfeuer mit
                      allen Kalibern. Die Österreichischen Motorbatterien
                      sollen auch da sein. Ausserdem ist eine deutsche Marinedividion
                      am Kampf beteiligt. Ich glaube dass es heute zur Entscheidung
                      kommt. Nachmittags hatten wir Ziel-Übungen mit dem
                      neue Carabiner; was einem ganz komisch anmutet, wenn man
                      ringsum den Kanonnendonner hört und die Verwundeten
                      Transporte sieht. Seit einigen Tagen zeigen sich sehr viele
                      Flieger auf die Artillerie kräftig schiesst. Diese
                      Granaten platzen oft unmittelbar über unserem Wagenplatz.  
                   2. November 
                   Vorläufig
                      liegen wir noch immer hier in Oostnieuwkerke im Quartier
                      und hatten heute verschiedene Apelle mit Mantel etc. Heute
                      Nachmittag erhielt unser Major das eiserne Kreuz. Als Auszeichnung
                      vor dem Feind kann man es nicht betrachten da wir noch
                      nie direct im Feuer gewesen sind. Am 2. 11. bekam ich wahrscheinlich
                      infolge des schlechten Wassers Diarrhö [Durchfall],
                      die sehr heftig auftrat. Als ich in der Nacht vom 2. auf
                      3. in den Schöft [Wagenhalle] nebenan, wo der andere
                      Wagen unseres Zuges liegt und wo ich seit dem 2. schlafe,
                      auf die Toilette ging, die vorne am Haus liegt, erschien
                      einePatrouille, da sie meinte, es handle sich um einen
                      Franctireur. Die Wache erzählte mir, dass in der Nacht
                      auf einquartierte Soldaten geschossen sei und dass 4 Franctireur
                      verhaftet seien. 
                   3. November
                      1914 
                   Am 3. war mein
                      Unwohlsein glücklicherweise wieder soweit vorüber.
                      Wir blieben heute immer noch am selben Ort. Die Truppen
                      sind im Centrum und anscheinend auch auf den Flügeln
                      vorgerückt. Die allgemeine Lage der Schlacht wird
                      günstig beurteilt. Nachts schlief ich wieder wie am
                      vorhergehende Tage im Stall des 20ten Wagen. Gegen 11 Uhr
                      glaubte unser Stangenreiter [Bedeutung des Wortes unklar;
                      vermutl. militärischer Ausdruck] Bühler einen
                      Mann auf dem Schöft gesehen zu haben. Trotz abpatroullieren
                      fanden wir aber nichts; dagegen begegneten wir aber 2 Geschützen
                      15 cm der schweren Artillerie, die von Roulers als Ersatz
                      abgeholt worden waren. Die Leute (Landwehr) sagten, dass
                      die Belagerung von Antwerpen gegen die jetzige Schlacht
                      in Westflandern ein Kinderspiel gewesen sei. Sie waren
                      bei Lüttich, Namur [Namen] etc. dabei gewesen. Sie
                      glauben, dass der Kampf noch 23 Tage dauern wird.
                      Es sollen wieder 12 000 Franzosen gefangen sein. Kleinere
                      Trupps wurden gestern hier durchgebracht. 
                   4. November 
                   Die Colonne
                      hatte an 9 Uhr angespannt; aber abgerückt wurde nicht.
                      Nach Vergrabung einer crepierten Kuh wurde im Quartier
                      Mittag gekocht. Abends Apell, dann eine ungestörte
                      Nacht. 
                   5. November
                      1914 
                   Morgens musste
                      unser Zug anspannen, dann Mittagessen; nachmittags empfingen
                      unser Zug und 3 weitere Wagen Munition aus Automobilen,
                      die wir sofort nach Calve [Landkarte verzeichnet Ort nicht;
                      nach späterer Aussage des Tagebuchschreibers nahe
                      Passendale bei Moorsiede] zur Abgabe an die leichte Colonne
                      brachten. Auf der Rückfahrt am gleichen Nachmittag
                      warf ein feindlicher Flieger 2 Bomben auf uns ab. Die eine
                      ging ungefähr 30 meter von unserem Wagen entfernt
                      in den Boden ohne weiteren Schaden anzurichten. Unsere
                      Pferde scheuten natürlich wegen des kolossale Knalles
                      und die Wagen wurden trotzdem sie fuhren, stark erschüttert.
                      Als wir wieder in Oostnieuwkerke auf dem Standplatz unserer
                      Colonne ankamen, erfuhren wir, dass unser Kanonier Fehrenbach
                      durch eine Bombe von dem gleichen Flieger getötet
                      worden sei. Die Bombe war ungefähr 150 meter von dem
                      Wagen, auf dem F. sass, entfernt in den Boden gefahren
                      und war hauptsächlich in seitlicher Richtung explodiert;
                      einige Stückchen sind aber anscheinend in der Richtung
                      der Wagen geflogen und so wurde der Mann getötet.
                      Als wir ankamen lag er auf der Erde und die beiden gerufenen Ärzte
                      constatierten gerade, dass der Tod sofort eingetreten sei.
                      Die Wunde, die ich mir ansah, war nicht sehr gross, scheint
                      aber das Herz oder die Lunge durchbohrt zu haben. 
                   6. November 
                   Um 11 Uhr fand
                      die Beerdigung statt, an der sämtliche Offiziere und
                      alle freien Mannschaften teilnahmen. Ich war gerade mit
                      dem Zuwerfen von Strassengräben nach unserem Standplatz
                      auf dem Felde beschäftigt, damit bei Übernahme
                      von Munition die Wagen eine bessere Auf und Abfahrt haben.
                      Sonst tagsüber nichts von Bedeutung. Beim 5 Uhr Apell
                      erhielt ich einige Karten aus Baden + ein Paketchen mit
                      Conserven ferner einen Brief aus Hamburg, der bereits am
                      13. 10. nach Rastatt gegangen war. Nachts und den darauffolgenden
                      Tag hatte ich Dorfwache in Oostnieuwkerke. 
                   7. November 
                   Am 7ten Abends
                      + Nachts als Befehlsempfänger. 
                   8. November 
                   Sonntag. Nichts
                      von Bedeutung. Vormittags und in der darauffolgenden Nacht
                      Durchmarsch von Verstärkung; einige Infanterie Regimenter
                      + Feldartillerie, die hauptsächlich aus Verdun kamen,
                      da dort die Einschliessung vollständig ist und ein
                      grosser Teil des Forts gefallen sein soll. Nachmittags
                      haben wir die Strasse im Ort ausgebessert. Abends fuhr
                      unser Zug ohne uns ab. Nachts gegen 8 Uhr kam er wieder
                      zurück. Anscheinend bleiben wir noch lange in Oostnieuwkerke.
                      Abends war ich beim Unteroffiziers-Befehlsempfang und nahm
                      die Post in Empfang. 
                   9. November 
                   Um 10 war Carabiner
                      Apell, vorher war ich auf Befehlsempfang; nach dem Apell
                      auch wieder. Da kam ein Freiwilligen Infanterist, der uns
                      erzählte, dass die freiwilligen Regimenter durch die
                      aus Verdun gekommenen Regimenter ersetzt worden sind, bis
                      zum Sturmangriff, der jeden Tag erfolgen könnte. Abends
                      kam ich auf Wache, diese war sehr angenehm, da wir nur
                      im Ganzen ca 4 Stunden standen. Nachts hatte ein Teil der
                      Colon-ne Munition gefahren und zwar nach Calve. [siehe
                      5. November] 
                   10. November 
                   Als ich morgens
                      in unser Quartier kam, hiess es, dass wir abrücken
                      müssten. Gegen Mittag rückten wir ab; vorher
                      ass ich noch gekochtes Huhn und Hühnersuppe, die unsere
                      Eeute am Abend vorher gekocht haben. Nachmittags kamen
                      wir dann in Koekuit [es ist nicht Koekuit nördlich
                      Eangemark, sondern Koekuithoek westlich Moorsiede gemeint]
                      an und müssten in dem Walde, der zum Schloss gehört übernachten
                      auf Stroh, ringsum die angebundenen Pferde. Geschlafen
                      habe ich sehr schlecht, da es mich sehr an die Füsse
                      fror. 
                   11. November 
                   Morgens kochten
                      wir Caffée bei den Leuten, deren Tochter hinten
                      ins Buch geschrieben hat. [Gemeint sind kindliche Schriftzüge
                      auf den hinteren Umschlagseiten des Tagebuches.] Sie war
                      sehr lebhaft und nett und wir haben uns gut unterhalten.
                      Wir blieben hier 5 Tage im Walde bei fast andauerndem Regen
                      + Schnee. Aus Stroh bauten wir uns eine Hütte, die
                      wir dann später mit Segeltuch überzogen. Der
                      Aufenthalt im Walde war wegen der Feuchtigkeit nicht angenehm,
                      auch mussten wir meistenteils im Freien abkochen, was immer
                      viel Zeit erforderte, weil das Wasser herbeigeholt werden
                      musste. Allerdings hatten wir auch einige gute Tage, da
                      wir Obst und Zucker kaufen konnten und uns Milchreis mit
                      Compott (Birnen) machen konnten. Hie und da kochten wir
                      auch bei der Martha Niyten [Eigenname]. Munition haben
                      wir während dieser Zeit wenig gefahren, da die Feldkanonen
                      wenig geschossen haben, sondern nur die mittlere und schwere
                      Artillerie. 
                   15. November
                      [bis 20. November] 
                   Heute rückten
                      wir bei sehr schmutzigem Wetter nach der Bahnstation Roulers
                      od. Rousselare [Roeselare] um Munition zu holen. Diese
                      kommt jetzt regelmässig am Quaigeleise [Kaigleis;
                      durch Roulers fließt die Mandel, die bei Ooigem in
                      die Leie mündet] dort an. Als wir ankamen, war keine
                      Munition da. Wir kochten ab bei einer netten, armen Familie
                      und sollten in einer Fabrik übernachten. Mittags kam
                      aber wieder der Befehl zum Abrücken. Wir fuhren ohne
                      Munition nach Koekuit oder Castel Hoek zurück und
                      trafen dort gegen 6 Uhr wieder bei dem Schlösschen
                      an. Dieses gehört dem Herrn Abrik de Kussmaker. Ich
                      hatte gleich nach Eintreffen Parkwache. Wir bezogen Quartier
                      in den Stallungen des Schlosses. Gegen 10V2 Nachts wurden
                      wir wieder geweckt und fuhren nach Beythen [bei Rumbeke
                      südlich von Roulers]. Hier kamen wir gegen Mitternacht
                      an und fuhren morgens wieder nach Roulers wegen Munition.
                      Unser Stammquartier blieb nun Beythen. Von hier aus fuhr
                      unsere Kolonne immer mit 46 Wagen nach Roulers holten
                      Munition und brachte diese nach Calve [siehe 5. November],
                      das in der Nähe von Passchendacle [Passendale] liegt.
                      Bei letzterem Ort befinden sich auch ein Teil unserer Schützengräben,
                      um die schon seit Wochen hartnäckig gekämpft
                      wird. Unser Zug fuhr auch ein paar Mal von Beythen nach
                      Roulers und zurück mit Munition, die anfangs von der
                      leichten Colonne in Beythen abgeholt wurde. In Beythen
                      hatten wir ein nettes Quartier bei einem Tischler namens
                      [Leander] Cools. Sein Häuschen liegt ca 25 Minuten
                      von unserem Sammelplatz entfernt. Die Leute hauptsächlich
                      der Mann sind sehr nett zu uns. Dieser spült unser
                      Geschirr, stellt morgens Caffeewasser auf etc. Dagegen
                      ist die Frau sehr schmutzig, unter anderem hat sie einmal
                      um unseren Esstisch zu putzen auf denselben gespuckt. Schmutzig
                      sind die Leute hier in Flandern überhaupt. Die Kinder
                      laufen sehr schmutzig mit ungekämmten Haaren auf der
                      Strasse umher; ich habe sogar gesehen dass in Roulers oder
                      Rousselare die Frauen sich auf der Strasse frissiert haben.
                      Da wir wenig Munition bekamen, so hatten wir wenig zu tun,
                      und es wurden dafür Apelle in Kleidung, Waffen etc
                      angesetzt, wie dies auch bei anderen Truppenteilen namentlich
                      bei der Infanterie, die auf einige Tage aus den Schützengräben
                      abgelöst ist, an der Tagesordnung ist. Die Fahrer
                      d. h. die Reiter hatten dann fast täglich Pferdebewegen
                      oder Pferdeapelle oder Besichtigung der kranken Pferde. 
                   Samstag, 21.
                      November 1914 
                   Heute kam der
                      Befehl, dass von allen Munitionskolonnen die Kannoniere
                      bis nachmittags um 3 Uhr zur Besetzung von Schützengräben
                      marschbereit sein sollten und sich um 5 Uhr in Passchendacle
                      zu melden hätten. Es wurde nun gesagt, dass wir wahrscheinlich
                      nur in einen Reserve Graben hinter der Front als Reserve
                      kommen sollten. Statt dessen ka-men wir aber in den aller
                      ersten Graben, der von feindlichen Schützengraben
                      stellenweise nur 20 meter entfernt war, so dass man das
                      Sprechen hören konnte. Wir marschierten also nachmittags
                      gegen 3 Uhr unter Führung von einem Offiziersstellvertreter über
                      Koe-kuit, Morslede nach Passchendacle. Unterwegs trafen
                      wir die Kannoniere von den anderen Colonnen. Kurz vor Morslede,
                      das jetzt fast nur noch ein verlassener Trümmerhaufen
                      ist, passierte uns eine Ballonabwehr-Kannone. Gegen 6 Uhr
                      trafen wir in Passchendacle ein das ebenfalls fast vollständig
                      zerstört ist. Hauptsächlich die Umgebung der
                      Kirche sowie diese selbst hat stark gelitten. Bei Dunkelheit
                      wurden wir dann auf dem Bahndamm entlang an die Laufgräben,
                      die zu den Schützengräben führen, herangebracht.
                      Es wurde im Gänsemarsch gegangen und das Sprechen
                      war verboten. Bald bekamen wir auch Gewehrfeuer aus nächster
                      Nähe zu hören und nach wenigen Minuten, als wir
                      an das Bahnwärterhäuschen gelangt waren, wo die
                      Laufgräben beginnen bekamen wir auch vereinzelt Gewehrfeuer.
                      Dann ging's in die Gräben unter lautloser Stille hinein
                      und teilweise aufrecht, teilweise gebückt oder bei
                      gedeckten Durchgängen auf allen Vieren gelangten wir
                      in den ersten Schützengraben. Es war das reinste Labyrinth
                      von Gängen, die meistens über Mannshöhe
                      auf beiden Seiten also Hinten und Vorne ausgeworfen waren.
                      Unterwegs wurden uns von Hand zu Hand Spaten gegeben, mit
                      welchen wir nachts die Gräben weiter ausgraben sollten.
                      Wir wurden 1020 Mann weise auf die Infanterie Compagnien
                      verteilt, so kam ich zur ersten Compagnie. Wir fingen gleich
                      an zu graben. Die feindliche Infanterie schoss die ganze
                      Nacht ohne Unterbrechung, während auf unserer Seite
                      nur ab und zu von den Posten hinter den Schutzschildern
                      geschossen wurde, wenn sich drüben einer blicken liess.
                      Sonst war das Feuer untersagt. Die feindlichen Geschosse
                      schlugen dauernd ... 
                  
                  Hier
                        endet das Tagebuch. Die Schilderung der Umstände
                        läßt darauf schließen, daß der
                        unbekannte Schreiber zu dieser Stunde den Tod fand.  
                 | *Abgedruckt: Badische Heimat 69 (1989) S. 93 - 102
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