| Der Verlauf der Umwallung des Lagers Argentorate mag dank
                      der Beobachtungen seit dem 18. Jahrhundert relativ bekannt
                      sein, doch seine interne Topografie ist größtenteils
                      immer noch ungewiss. Da dieser Standort von der Römerzeit
                      bis in die Gegenwart kontinuierlich besiedelt war, ist
                      die Erforschung der antiken Topografie trotz unzähliger
                      punktueller Funde seit der Mitte des 19. Jahrhunderts schwierig.
                      Teilweise ausgegrabene Gebäudereste wurden vor allem
                      durch einen Vergleich mit dem typischen Grundriss anderer
                      Legionslager, die in Deutschland und in der Schweiz großflächig
                      ausgegraben wurden identifiziert. Die Grabung im „Grenier d’Abondance“  Der „Grenier d’Abondance“, ist ein außergewöhnliches
                      mittelalterliches Bauwerk an der Place du Petit-Broglie.
                      Dieser urtümliche Kornspeicher aus dem 15. Jh. war
                      einer der größten Europas und der einzige fast
                      vollständig erhaltene. Er wurde restauriert und wird
                      nun von der Opéra National du Rhin genutzt. Die
                      Baumaßnahmen boten die Gelegenheit, den Untergrund
                      dieses Ortes zu untersuchen, an dem einst der antike Schutzwall
                      verlief. Die zwischen November 1999 und Mai 2000 durchgeführten
                      Grabungen (Leitung: G. Kuhnle, Inrap) ermöglichten
                      eine detaillierte chronologische Analyse der römischen
                      Militäreinrichtungen in diesem Teil des Lagers. Die
                      ersten militärischen Bauarbeiten wurden gegen Ende
                      des 1. Jhs. nach Chr. im Zusammenhang mit der Ankunft der
                      Legio VIII Augusta in Straßburg ausgeführt:
                      Man legte eine Umwehrung aus Holz und Erde an, die außen
                      mit einem Wehrgraben und innen mit einer Ringstraße,
                      der via sagularis versehen war. Im 6 m breiten Intervallum, dem Raum zwischen Wall und
                      Straße, befand sich ein 14,8 x 4,4 Meter großes
                      Gebäude, das um 100 n. Chr. erbaut wurde. Es handelt
                      sich um eine Backstube mit zehn Öfen zur Brotherstellung,
                      die während der ersten Hälfte des 2. Jhs. in
                      Betrieb war, um dann um 140- 150 von einem größeren
                      Backhaus ersetzt zu werden. Im Laufe des 2. Jh. n. Chr. wurde der Schutzwall aus Holz
                      und Erde durch eine weitere Befestigung aus Kalkstein mit
                      dreifacher Ziegelverstärkung ergänzt. Diese Umwehrung
                      aus der Kaiserzeit erhielt im 4. Jh. eine zusätzliche
                      Verschalung und wurde um einen rechteckigen Turm erweitert.
                      Die Grundmauern und die in den verschiedenen Bauphasen
                      eingesetzten Techniken konnten ausführlich untersucht
                      werden. Die Grabungen in der Rue Brûlée  Mit dem Bau der École Régionale des Avocats
                      du Grand Est ergab sich erneut die Gelegenheit zur Erkundung
                      eines wichtigen Teils des Legionslagers. Das Institut Inrap
                      führte 2008 archäologische Präventivgrabungen
                      im Hof des ehemaligen Nebengebäudes des Konservatoriums
                      durch (Leitung: G. Kuhnle). Die 400 m2 große Ausgrabung ermöglichte
                      es, die Geschichte dieses unweit der Umwehrung gelegenen
                      Areals über einen langen Zeitraum – vom 1. Jh.
                      n. Chr. bis zum heutigen Tag – nachzuzeichnen. Bezüglich
                      der Römerzeit ist die Entdeckung der Überreste
                      eines Kasernengebäudes und einer Parallelstraße
                      zur via sagularis von größtem Interesse. Der erste römische Erschließungsversuch des
                      Bauplatzes, der anhand einiger Fundamentgräben nachvollziehbar
                      ist, wurde Opfer von Überschwemmungen. Daraufhin folgt
                      ab dem Jahre 40 n. Chr. eine Erschließung ähnlich
                      des Vorgängermodells. Sie zeichnet sich durch rechtwinklig
                      zu einander liegende Fundamentgräben aus, die auf
                      die Errichtung eines Gebäudes aus Holz und Lehm hindeuten. Gegen Ende des 1. Jhs. n. Chr. folgten umfangreiche Einebnungsarbeiten
                      um das Terrain für den Bau eines ständigen Lagers
                      der 8. Legion zu bereinigen und herzurichten. Eine 4 m
                      breite antike Straße verlief hier nun parallel zur
                      via sagularis (die Ringstraße an der Innenseite der
                      Umwehrung) und war von Säulengängen gesäumt.
                      Hier befand sich ein großes, langrechteckiges Gebäude
                      mit 4 Reihen gleich großer Räume. Diese Doppelbaracke
                      beherbergte die contubernia, „Zeltgemeinschaften “ von
                      jeweils acht Legionären, die sich zwei Räume
                      teilten – ein kleines Vorzimmer (arma) und den dahinter
                      liegenden größeren Schalfraum (papilio). Das
                      Gebäude wurde zwischen dem späten 1. und dem
                      frühen 4. Jh. n. Chr. kontinuierlich instand gehalten.
                      Die Grabungen förderten Geschirr, Mühlsteine
                      und andere Alltagsgegenstände zutage, die zur persönlichen
                      Habe der Legionäre gehörten. Dass der Ort auch im Mittelalter ununterbrochen bewohnt
                      war, zeigt insbesondere eine halb in den Boden eingelassenes
                      Grubenhaus mit sechs Pfosten, das aus der zweiten Hälfte
                      des 6. bzw. aus dem 7. Jh. stammt. Als erster auf dem Gelände
                      des Straßburger Legionslagers ausgegrabener frühmittelalterlicher
                      Wohnbau stellt es einen außergewöhnlichen Fund
                      dar!  Die Grabung in Rue de la Mésange. Zeitgleich mit der Errichtung des Lagers durch die 8.
                      Legion wurde in dessen unmittelbarer Nähe eine römische
                      Zivilsiedlung (canabae legionis) angelegt. Dazu gehört
                      ein Haus aus Lehm und Holz, das 1999 anlässlich von
                      Bauarbeiten der Straßenbahnlinie B an der Kreuzung
                      von Place Broglie und Rue de la Mésange 2,50 m unter
                      der heutigen Straße freigelegt wurde (Grabungen:
                      J. Baudoux, Inrap). Es gehört zu den charakteristischen
                      langrechteckigen Holzbauten dieser Zeit, den sog. Streifenhäusern,
                      die senkrecht zur Straßenachse ausgerichtet sind.
                      Damit wurde in Straßburg zum ersten Mal ein solches
                      Gebäude mit Sicherheit nachgewiesen. Die Holzbauteile haben sich im feuchten Boden gut erhalten.
                      Das schilfgedeckte Streifenhaus öffnete sich auf die
                      Straße hin, die nach Brocomagus (Brumath) führte.
                      Es bestand aus einem straßenseitigen Säulengang,
                      hinter dem Fünf Räume (mit gemauerten Öfen
                      und mehreren häuslichen Feuerstellen) folgten. Die
                      Südmauer des Hauses konnte über eine Länge
                      von 22 m freigelegt werden. Eine vom Labor Archéolabs durchgeführte dendrochronologische
                      Analyse des Holzes ergab, dass die zum Bau dieses Hauses
                      verwendeten Bäume in den Jahren 78 und 85-87 n. Chr.
                      gefällt wurden. Die Fülle der bei der Grabung
                      gefundenen Keramikfragmente zeigt, dass die Aktivität
                      auf dem Grundstück zwischen 90 und 130-140 n. Chr.
                      ihren Höhepunkt erreichte. Die Gebäude erfüllten offenbar einen ganz bestimmten
                      Zweck – den einer Art „Schnellrestaurant“ für
                      die nebenan lebende soldatische Kundschaft, der hier Wein
                      und Speisen angeboten wurden. Auf dem Boden eines der Räume
                      fanden sich große Mengen von Pollen, die Pflanzen
                      wie Karotten, Sellerie, Kerbel, Liebstöckel aber auch
                      Lattich und Endivie zugeordnet werden konnten. Zahlreiche
                      Knochenreste zeugen von einer Fleischertätigkeit und
                      der gelegentlichen Herstellung von Hirschhorngehängen,
                      die bei den Soldaten sehr beliebt waren. Das Streifenhaus
                      liefert also eine umfangreiche Stichprobensammlung gastronomischer
                      Dienstleistungen. Es wurde als Laden von Kaufmännern
                      betrieben, deren Lebensunterhalt von der Garnison abhing
                      und die zweifellos im Kielwasser der Armee eingetroffen
                      waren. In den Jahren 130-140 wurde der vollständige Abriss
                      des Sektors verfügt: Das gesamte Areal wurde durch
                      Auftragen einer Kiesschicht eingeebnet und ein komplexeres
                      Straßennetz trat an die Stelle der Streifenhäuser.
                      Die umfangreichen Arbeiten gehen sicherlich auf den Wunsch
                      der Heeresleitung zurück, vor dem Lagerwall einen
                      Glacis anzulegen, und das von den canabae legionis eingenommene
                      Areal in Lagernähe umzugestalten. 
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