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Anlässlich des 150-jährigen Jubiläums der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Japan und der Schweiz eröffnet das Textilmuseum St. Gallen am 22. März 2014 die Ausstellung Kirschblüte & Edelweiss. Der Import des Exotischen, die sich den vielschichtigen Beziehungen zwischen der Schweizer Textilindustrie und Ostasien widmet. Neben der umfangreichen, bisher nur selten gezeigten Sammlung asiatischer Textilien, überrascht die Schau mit wenig Bekanntem zur Schweizer Textilindustrie.
China, Japan und die Schweiz, drei Regionen mit langen textilen Traditionen, treten in Kirschblüte & Edelweiss in einen Dialog. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie Schweizer Textilentwerfer auf die opulenten Gewebe und Stickereien aus China und Japan reagieren, die seit 1870 im Westen Furore machen.
Die Ausstellung eröffnet mit der Präsentation der handgestickten und gewebten Textilien Asiens aus der Kollektion des Textilmuseums St. Gallen, denen die Schweizer Maschinenstickerei um 1900 gegenüber gestellt wird. Es folgen der japanische katagami-Druck sowie der Glarner Rotdruck als schweizerisches Pendant. Im Anschluss widmet sich die Ausstellung der Frage, wie die Impulse aus Asien ab 1900 das Schweizer Textildesign bis heute beeinflussen. Hinterfragt werden unter anderem die gängigen Klischees, denen nicht nur die Schweizer, sondern auch die Japaner anhängen. Deren Schweiz-Bild findet nach wie vor ihren Ausdruck in den „Japankollektionen“ der Schweizer Textilproduzenten, die zum Abschluss der Ausstellung aktuellen asiatischen Modetrends, insbesondere dem von der Jugend Tokios gepflegten „Harajuku Style“ gegenübergestellt werden, der einen freien und kreativen Mix von Moden und Kulturen propagiert und somit eine zeitgemässe Antwort auf einen globalen Kulturtransfer darstellt, der schon um 1900 wirkte.
Asienfieber und „Wow“-Effekt
      Das Textilmuseum St. Gallen verdankt seine umfangreiche Asiatika-Sammlung
      dem Asienfieber, dem der Westen spätestens seit der Wiener
      Weltausstellung 1873, an der erstmals auch Japan teilnimmt,
      erliegt. Mode und Raumausstattung verlangen nach Stickereien
      und Gewebe im Stile Asiens, die die Schweizer Textilindustrie
      prompt liefert. In kurzer Zeit legen Textilproduzenten Ende
      des 19. Jahrhunderts Sammlungen asiatischer Textilmuster, Holzschnitte
      und Entwurfszeichnungen an, die ihre eigenen Entwerfer zu Dessins à l’Asie
      inspirieren. Eine Auswahl japanischer und chinesischer Stickereien
      und Gewebe aus diesen Sammlungen bildet den Auftakt der Ausstellung.
      Neben zahlreichen Musterstücken, Wandbehängen und
      Kleidungsfragmenten wie Ärmelbändern sind buddhistische
    Textilien wie Priestermäntel und Altardecken zu sehen.
Als „in Vergessenheit geratenen Schatz“ bezeichnet Michèle Grieder die Exponate. Die Zürcher Kunsthistorikerin, spezialisiert auf ostasiatische Textilien, beschäftigte sich im Vorfeld der Ausstellung ein Jahr lang mit den Objekten, die 100 Jahre im Depot des Museums ruhten. Als Vorlagen- und Mustersammlung weist die Sammlung einen ganz eigenen Charakter auf – „voller Überraschungen“, hält Grieder fest.
Die Textildesignerin Annina Weber spricht von einem „Wow“-Effekt, den diese exotischen Stücke bei den Entwerfern am Ende des 19. Jahrhunderts ausgelöst haben müssen. Der Schwung und die Farbigkeit der Darstellung sowie der für Europäer ungewohnte Blick auf die Natur führen zu einem nachhaltigen Wandel im Schweizer Textildesign. Geschickte Entwerfer adaptieren die japanischen und chinesischen Motive für die maschinelle Produktion. Schweizer Weber und Sticker beliefern den Weltmarkt mit „Asiatischem“. Auch an „urtypisch“ Schweizerischem wie dem Edelweiss geht der asiatische Impuls nicht spurlos vorüber: Neben den neuen Motiven zieht auch ein neuer Schwung in die Darstellung altbekannter Formen ein, der sich bis heute in Schweizer Textilien nachweisen lässt.
Profanes Werkzeug – begehrtes Sammlerobjekt
      Einen eigenen Raum widmet Kirschblüte & Edelweiss den
      katagami-Druckschablonen. Sie dienen der Herstellung hochwertiger
      Seiden- und Baumwolldruckstoffe, sogenannter katazome. Es handelt
      sich also um japanische Textildruckwerkzeuge vergleichbar den
      Holzmodeln, die für den Glarner Druck verwendet wurden.
      In Europa sind diese filigranen Gebilde aus Maulbeerbaumrinde
      und Seide um 1900 jedoch wegen ihrer aussergewöhnlichen ästhetischen
      Qualität als Kunstwerke begehrt. Japanische Händler
      verkaufen Tausende davon an europäische Sammler. Das Textilmuseum
      St. Gallen besitzt mit über 500 Exemplaren die grösste
      katagami-Sammlung in der Schweiz, die zum ersten Mal auszugsweise öffentlich
      zu sehen sein wird. Ergänzt wird die Präsentation von
      100 Schablonen durch katazome-Kimonos und Holzschnitten, die
    Kimono-Entwürfe zeigen.
Exotischer Luxus „Made in Switzerland“
  „
      Made in Switzerland“ und Textilien stehen vor allem in
      Japan, zunehmend aber auch in China für westlichen, also
      exotischen Luxus. Gediegen und elegant – damit verbinden
      diese Kunden das Schweizer Textildesign. Ein Klischee, das die
      Schweizer Textilproduzenten seit mehr als 50 Jahren mit speziellen „Japankollektionen“ gerne
      bedienen. So entsteht ein eigenwilliger Stil mit feinen Blümchen,
      kleinen Punkten und gedeckten Farben, der seine Essenz weitgehend
      aus dem westlichen Modegeschmack des 20. Jahrhunderts zieht.
      Die hierzulande kaum bekannten Textilien bedienen die Vorstellungen
      und Wünsche der asiatischen Kundschaft, der das Bild einer
    lieblich-romantischen Schweiz vermittelt wird.
Der Traum von der Ferne
      Das Luzerner Szenographen-Team Bernhard Duss und Marcel Glanzmann
      sahen sich vor der schwierigen Aufgabe, die Verkreuzungen zwischen
    Ostasien und Schweiz visuell wiederzugeben.
Ein Horizont in Degradé-Schattierungen von rot, blau und gelb bildet das durchgehende szenographische Element. „Er steht als Verbindung zwischen dem Abendland und dem Land der aufgehenden Sonne und nimmt so Bezug auf die wechselseitigen Sehnsüchte nach dem jeweils Anderen, den Blick über den Horizont hinaus hin zum Exotischen“, erläutern die Szenographen ihr Konzept. „So durchschreitet der Besucher von Raum zu Raum verschiedene Landschaften, die mit ihren Schätzen von sich erzählen und uns von der Ferne träumen lassen.“
Warum in St. Gallen?
      Diese Frage hörte Michaela Reichel, Leiterin des Ausstellungsteams,
      im Vorfeld der Ausstellung häufig. Für sie ist die
      Antwort eindeutig: Die Ostschweizer Textilindustrie nahm eine
      Vorreiterrolle ein, als es im 19. Jahrhundert darum ging, Kontakte
      zu China und Japan zu knüpfen. Bereits 1858/59, Jahre, bevor
      die offiziellen Beziehungen zwischen der Schweiz und Japan aufgenommen
      wurden, schickte das Kaufmännische Directorium St. Gallen
      gemeinsam mit der Uhrenindustrie Neuenburg einen Abgesandten,
      Rudolf Lindau, nach China und Japan, um das Potential der dortigen
      Märkte zu sondieren. Die Zürcher Seidenhändler
      interessierten sich hingegen wegen des Rohstoffes Seide frühzeitig
      für die Region. „Ausserdem war der Einfluss auf die
      Textilentwerfer gewaltig“, meint sie. „Wo also eine
      Ausstellung über die Wechselwirkungen zwischen Ostasien
      und der Schweiz, wenn nicht im Textilmuseum St. Gallen?“ Ein
      internationales Wissenschaftlerteam um Hans Bjarne Thomsen, Professor
      für Kunstgeschichte Ostasiens an der Universität Zürich,
      beschäftigte sich eingehend mit der Asiatika Sammlung des
      Textilmuseums. Ihre Forschungsarbeiten über Musterbücher,
      katagami und Entwurfszeichnungen finden sich gemeinsam mit Beiträgen
      zur Geschichte im Begleitband zur Ausstellung.
Hans Bjarne Thomsen sieht in der Ausstellung eine Hommage an „sehr unterschiedliche Kulturen, an das Aufeinandertreffen von Menschen unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlicher Traditionen, die dennoch interessiert waren, wechselseitige Zusammenhänge mit unterschiedlichen Mitteln zu erkunden“.
Texte & Bilder: Textilmuseum St. Gallen
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