| Das Schaufenster entwickelte sich seit dem 19. Jahrhundert
                      zu einem zentralen und vielschichtigen Ort moderner Konsumkultur
                      und trug wesentlich zum Antlitz der modernen Stadt bei.
                      Es präsentierte die unglaubliche Fülle einer
                      neuen Warenwelt ähnlich wie in Ausstellungen und etablierte
                      eine bis dahin unbekannte Form des Flanierens und Schauens:
                      das „Window Shopping“. Als Bühne für
                      die Wareninszenierung übte das Schaufenster eine enorme
                      Anziehungskraft aus – nicht nur auf PassantInnen
                      und Kauflustige, sondern auch auf VertreterInnen der Literatur,
                      Kunst und Fotografie.  Neben der Fotokunst popularisierte auch die Dokumentarfotografie
                      die neuen visuellen Codes, nicht zuletzt über die
                      seit der Zwischenkriegszeit boomenden illustrierten Zeitschriften
                      und über die Reklameliteratur. Die Ausstellung, die
                      im Rahmen von „Eyes On. Monat der Fotografie Wien“ eröffnet
                      wird, zeigt bisher noch nie präsentierte dokumentarische
                      Aufnahmen aus der Sammlung des Wien Museums ebenso wie
                      Beispiele aus dem Bereich der künstlerischen Fotografie.
                      Neben Arbeiten von August Stauda, Emil Mayer, Martin Gerlach
                      jun., Franz Hubmann, Barbara Pflaum, Lucca Chmel, Gerhard
                      Trumler, Trude Lukacsek oder Didi Sattmann sind historische
                      Auslagendokumentationen von Warenhäusern und Geschäften
                      wie Herzmansky, Gerngross oder Palmers zu sehen. Ergänzt
                      werden sie durch Schaufensterzeitschriften und Fotobildbände.
 Die Inszenierung der Waren
  Das Schaufenster ist unmittelbar mit der industriellen
                        Massenproduktion verbunden. Die Zurschaustellung und
                        Inszenierung von Waren war sowohl für die HändlerInnen
                        als auch für die ProduzentInnen notwendig geworden,
                        um im Konkurrenzkampf überleben zu können – erst
                        das Schaufenster konnte das enorme Warenangebot öffentlich
                        vermitteln. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts war die Herstellung
                        großflächiger Glasscheiben technisch möglich,
                        mit der Elektrifizierung wurde der zweite wichtige Schritt
                        getan, der zur rasanten Verbreitung der Schaufenster
                        führte. Die „Bühne der Warenwelt“ entfaltete
                        ihre volle Wirkung erst in der Nacht, „eine Märchenpracht,
                        wie sie die Virtuosen der arabischen Nächte nicht
                        träumen konnten“, so ein begeisterter Zeitgenosse.
                        Nicht immer waren die Reaktionen so positiv, so kritisierten
                        kirchliche Vertreter die Allgegenwart des Kommerzes,
                        die Heimatschutzbewegung bekämpfte die „Verschandelung“ des
                        Stadtbildes durch die „Reklameseuche“, nicht
                        zuletzt, weil Einbauten von Schaufenstern auf alte Bausubstanz
                    oft wenig Rücksicht nahmen.  Pioniere des modernen Schaufensters waren die Warenhäuser,
                      die zum Schauplatz und Symbol der modernen Konsumgesellschaft
                      wurden, neben dem Kohlmarkt, dem Graben und der Kärntner
                      Straße entwickelte sich die Mariahilfer Straße
                      mit Shopping-Tempeln wie dem Warenhaus Herzmansky und Stefan
                      Esders` „Zur großen Fabrik“ im späten
                      19. Jahrhundert zur führenden Geschäftsstraße: „Hier
                      sind wir Großstadt“, jubelte die Neue Freie
                      Presse 1895. Um den richtigen „Shop-Appeal“ zu
                      erreichen, wurden DekorateurInnen engagiert, vor allem
                      in der Textilindustrie etablierten sich Schaufensterfiguren,
                      beliebt waren auch „Stapelfenster“, bei denen
                      wenige Artikelsorten in großer Zahl symmetrisch angeordnet
                      wurden. Die professionelle Schaufenstergestaltung inszenierte
                      eben nicht nur Luxus, sondern auch Massenware und trug
                      somit wesentlich zu deren Ästhetisierung bei.
  Der
                      Schaufensterbummel war nicht nur Teil einer neuen Konsumpraxis,
                      sondern gehörte zur Stadtwahrnehmung
                      und -erfahrung. „Window Shopping“ war
                      gleichbedeutend mit „in der Stadt sein“ und
                      bot darüber hinaus Frauen eine willkommene „legitime“ Möglichkeit,
                      sich unbegleitet in der Öffentlichkeit bewegen zu
                      können.
 Eine Geschichte der Wiener Schaufensterkultur
  Das Schaufenster wurde schnell zum beliebten Motiv der
                        fotografischen Stadtdokumentation und der künstlerischen
                        Fotografie, für die u. a. die Spiegelungseffekte
                        der Auslagenscheiben eine ästhetische Herausforderung
                        darstellten. Alle in der Ausstellung gezeigten Fotos
                        wurden in Wien aufgenommen, wobei es auffällig ist,
                        dass sie häufig das Alte, Relikthafte und Kuriose
                        und weniger das Innovative oder Moderne zeigen. So hielt
                        der Dokumentarfotograf August Stauda um 1900 vor allem
                        jene Formen von Auslagen fest, die zum „aussterbenden
                        Alt-Wien“ gehörten, also etwa Vitrinen an
                        Portalen oder „normale“ Fenster, die als
                        Schaufenster benutzt wurden. ArchitekturfotografInnen
                        wie Martin Gerlach jun. oder Lucca Chmel konzentrierten
                        sich auf moderne Gebäude, Vertreter der Moment-
                        und Straßenfotografie wie Emil Mayer beobachteten
                        die PassantInnen beim Schauen und „Gustieren“,
                        in der sozialkritischen Fotografie wird dieser Blick
                        noch einmal geschärft auf jene, die sich die augstellten
                        Waren nicht leisten können. Den Fokus auf die Präsentation
                        der Waren legen FotografInnen wie Trude Lukacsek, die
                        sich seit den 1980er Jahren vor allem für jene Geschäfte
                    interessiert, die im Verschwinden begriffen sind. 
 Eintritt: 6 €. Ermäßigt 4 € (SeniorInnen,
                      Wien-Card, Ö1-Club, Gruppen ab 10 Personen) bzw. 3 € (Lehrlinge,
                      Studierende bis 27J, Präsenz- und Zivildiener); Freier
                      Eintritt: Schüler und Jugendliche unter 19; Arbeitslose,
                      Notstandshilfe- bzw. Sozialhilfeempfänger. Freier Eintritt für alle an jedem ersten Sonntag
                      im Monat. Besucherinformation: Tel (+43 1) 505 87 47-0, www.wienmuseum.at;e-mail: service@wienmuseum.at
 
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