Mikwe  
                          
                      
                       
                        Die Mikwe in Speyer, das rituelle Kultbad der jüdischen 
                        Gemeinde, gilt als die größte und besterhaltene 
                        nördlich der Alpen. Den Rang der größten 
                        Mikwe muss sie sich allerdings mit der von Friedberg in 
                        Hessen teilen. 
                      
 
                        Das so genannte rituelle Kaltwasserbad der Juden hat seinen 
                        Ursprung in der Unterscheidung von koscher (rein) und 
                        trefe (unrein), was nicht nur auf Speisen zutrifft, sondern 
                        auch auf Lebenssituationen. So hat nach den Gesetzen Moses 
                        besonders die Frau nach ihren Tagen die Pflicht, sich 
                        einer rituellen Reinigung zu unterziehen. 
                      
 
                        Dieses rituelle Bad musste in Wasser vorgenommen werden, 
                        das weder herbeigetragen noch herbeigepumpt wurde, sondern 
                        auf natürlichem Weg herbeigeflossen war. Logischerweise, 
                        denn was natürlich herbeifloss, floss auch genauso 
                        natürlich wieder ab. So wurden zu allen Zeiten hygienische 
                        Vorschriften religiös verpackt. 
                      
 
                        Den Judengemeinden des Mittelalters waren nun oft die 
                        Siedlungsplätze an Flüssen und Bächen verwehrt. 
                        Um an natürlich herbeifließendes Wasser zu 
                        kommen, musste in die Tiefe gegraben werden - bis zum 
                        Grundwasser. 
                      
 
                        Die Mikwe in Speyer wurde benutzt, bis 1534 die Juden 
                        aus der Stadt vertrieben wurden, weil man sie für 
                        den Ausbruch der Cholera und anderer Krankheiten verantwortlich 
                        machte. Ihre Synagoge zerfiel und wurde im Erbfolgekrieg 
                        1689 mit der ganzen Stadt endgültig zerstört. 
                        Unter Bauschutt versteckt überstand das Ritualbad 
                        die Jahrhunderte. Seit 1989 ist es wieder für die 
                        Öffentlichkeit allgemein zugänglich und kann 
                        zwischen dem 1. April und 31. Oktober täglich besichtigt 
                        werden. Gezählt werden rund dreißigtausend 
                        Besucher jährlich. 
                      
 
                        1995 wurden Restaurierungsarbeiten an der Mikwe begonnen. 
                        Von Säure und Salz stark angegriffene Sandsteinplastiken 
                        wurden gereinigt, schadhafte Fugen und durchfeuchteter 
                        Putz durch feuchte- und salzresistentes Material ersetzt. 
                        Eine Analyse der Schäden ergab damals, dass die Mikwe 
                        vor allem dauerhaft vor witterungsbedingter Feuchtigkeit 
                        geschützt werden musste, also ein Regendach benötigte. 
                        Eine Überdachung musste natürlich kulturhistorisch 
                        und architektonisch angemessen gestaltet werden - die 
                        Mikwe ist in die Tiefe gebaut ist, zum Grundwasser hin, 
                        und tritt als Bauwerk oberirdisch kaum in Erscheinung. 
                        Das Vorhaben wurde begünstigt durch die Tatsache, 
                        dass das Areal des Judenhofes in der Geschichte ohnehin 
                        überbaut und der derzeitige Zustand streng genommen 
                        unhistorisch war. 
                      
 
                        Der Speyerer Bildhauer Wolf Spitzer hatte daraufhin eine 
                        Stahl-Glas-Skulptur entworfen, die einerseits das Bauwerk 
                        schützt, andererseits jedoch das unterirdischen Monument 
                        betont, ohne den Gesamteindruck des Judenhofes" 
                        zu beeinträchtigen. Sein Entwurf schuf einen offenen, 
                        lichtdurchfluteten Raum unter einem gläsernen Dach, 
                        das den Gesamtgrundriss der Mikwe spiegelt. Mit den zu 
                        Strahlen und Bündeln geordneten Stahlrohrbügeln, 
                        die die Konstruktion tragen, griff Wolf Spitzer Säulen 
                        und Halbsäulen als die romanischen Architekturelemente 
                        der Mikwe auf. 
                      
Nachrichten 
                        & Notizen 4/1999