| Schokolade lässt kaum jemanden kalt: Sie verführt,
                      macht glücklich, tröstet, nährt, beruhigt
                      und belohnt. Ein Leben ohne Schokolade ist für viele
                      unvorstellbar, sei sie hell oder dunkel, süss oder
                      bitter, flüssig oder fest. Sie löst Glücks-
                    und Lustgefühle aus. Kakao und Schokolade gelten sowohl als Genussmittel wie
                      auch als «komplette» Nahrungsmittel. Kohlenhydrate,
                      Fette, Proteine, Vitamine, Spurenelemente und Mineralstoffe
                      sind in konzentrierter, vom Körper schnell aufnehmbarer
                      Form, vorhanden. Schokolade gehört zur Schweiz wie Berge, Uhren und
                      Käse, nationale Symbole, die international wahrgenommen
                      werden. Die Schweizer Bevölkerung schätzt aber
                      auch die Schokolade, ist sie doch weltweit führend
                      im Schokoladenkonsum. Pro Kopf wurde 2008 monatlich ein
                      Kilogramm genossen, so nur schon zu Ostern über ein
                      halbes Kilogramm. Kakao bewegt die Welt: So sind Kakaobohnen nach Erdöl
                      und Kaffee das wichtigste Rohstoffprodukt im Weltmarkt. Begonnen hatte alles in Mittelamerika. Schon um 600 n.
                      Chr. kultivierten die Mayas den Kakaobaum in Plantagen
                      und ernteten die Früchte für die Zubereitung
                      eines Getränks, das sie «Xocolatl» nannten,
                      wovon sich das Wort Schokolade ableitet. Die hohe Wertschätzung
                      des Getränks zeigte sich auch darin, dass die Kakaobohnen
                      als Zahlungsmittel galten. Die Azteken, die im 12. Jahrhundert
                      Mexiko eroberten, übernahmen den Gebrauch dieses Zahlungsmittels. Über
                      die spanischen Eroberer kam der Kakao im 16.Jahrundert
                      nach Europa. Von fundamentaler Bedeutung war die Entwicklung fester
                      Schokolademasse dank industrielle Fertigungsmethoden seit
                      dem frühen 19. Jahrhundert: Maschineneinsatz erlaubte
                      das Auspressen von Kakaobutter aus den zerkleinerten Kakaobohnen,
                      was wiederum Basis für die Herstellung fester Schokolade
                      war. Zwei wesentliche Entwicklungen haben die Herstellung der
                      Schokolade gefördert und zum Ruf der Schweiz als Schokoladenparadies
                      beigetragen: Die Erfindung der Conche (1879), ein spezielles
                      Rührwerk, das die sandig-brüchige Struktur der
                      Schokolade in eine feincremige, zartschmelzende verwandelt,
                      und die Entwicklung der Milchschokolade mit Hilfe des Milchpulvers
                      (1875). Die technischen Entwicklungen, die hohe Qualität
                      und eine überzeugende Werbestrategie verhalfen der
                      Schweizer Schokolade seit Ende des 19. Jahrhunderts bis
                      heute zu enormem Erfolg. Trotzdem, auch andere Länder haben Schokoladetraditionen.
                      Im 19. Jahrhundert galten als wichtigste Produzenten in
                      Europa Frankreich an der Spitze, Spanien, England und die
                      Niederlande. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts traten Deutschland
                      und die Schweiz ihren Siegeslauf an, die Schweiz erlangte
                      sogar erst ab 1880 eine bedeutende Stellung. Schokolade im Thurgau  Die Schokoladeproduktion in der
                      Schweiz erreichte zwischen 1880 und 1920 ihren Höhepunkt.
                      Dabei produzierten die Betriebe nicht nur für das
                      Inland, sondern exportierten einen Grossteil ins Ausland.
                      1912 führte die Schweiz die internationale Exportstatistik
                      mit Abstand an. Von 27'000 Tonnen exportierter Schokolade
                      entfielen allein 15’000 auf die Schweiz. Mit Abstand
                      folgte Frankreich mit gut 2'000 Tonnen. Die Nordostschweiz
                      war im Unterschied zur restlichen Schweiz relativ schwach
                      mit grösseren Firmen vertreten. Zu nennen sind Maestrani
                      Schweizer Schokoladen AG in Flawil, gegründet 1852
                      in St. Gallen, und Chocolat Bernrain AG in Kreuzlingen,
                      gegründet 1931. Im Thurgau ist Chocolat Bernrain AG bis heute der einzige
                      industrielle Schokoladegrossbetrieb. Der Entscheid des Gründers Heinrich Weibel, 1931
                      in der Zeit grösster Wirtschaftskrise eine Firma zu
                      gründen, ist ausserordentlich mutig, wurden doch nach
                      dem Ersten Weltkrieg und der Wirtschaftskrise seit 1927
                      viele Betriebe geschlossen. Während des Zweiten Weltkriegs mangelte es an Rohprodukten,
                      was allen Produzenten schwer zu schaffen machte. Die Schokoladefabrik überstand
                      auch diese Krise. Mitte der 50er Jahre entschied sich die
                      Firma unter der Leitung der Familie Müller zu einer
                      grundsätzlichen Strategie, die bis heute verfolgt
                      wird. Als erster schweizerischer Schokoladehersteller wurden
                      nun für Grossabnehmer Produkte mit deren Eigenmarken
                      fabriziert. Diese damals mutige, riskante und ungewöhnliche Ausrichtung
                      bewährte sich und erlaubte nicht nur das Überleben
                      in einer weiteren Zeit der Übernahme von Schokoladefabriken
                      durch weltweit tätige Konzerne, sondern auch ein stetiges
                      Wachsen. Die Manufaktur der Gottlieber Hüppen ist genauso
                      ein Kind der Wirtschaftskrise. Elisabeth Wegelin begann
                      1928 die Hüppenbäckerei mit zwei elektrischen
                      Waffeleisen, die sie ihrer Nachbarin abkaufte. Diese war
                      genötigt, ihre Hüppenbäckerei aufzugeben,
                      da ihr Mann als Kantonsgeometer arbeitete und ein Doppelverdienst
                      während der Krisenjahre öffentlichen Angestellten
                      nicht erlaubt war. Auch dieser kleine Familienbetrieb florierte
                      und überlebte Wirtschaftskrise und Zweiten Weltkrieg.
                      Seit 1950 setzte behutsam die Mechanisierung mit Halbautomaten
                      und Automaten ein. Dank dieser Abgrenzung zur industriellern
                      Produktion und dem ungebrochen guten Ruf der Gottlieber
                      Hüppen mit ihrer Schokolade- und Crèmefüllung
                      floriert dieser Manufakturbetrieb noch heute. Schliesslich sind die Confiserien im Thurgau zu nennen – Betriebe
                      meistens in grösseren Ortschaften, die manchmal seit
                      Generationen geführt werden und eigene Traditionen
                      haben. Hier dominiert das Handwerk mit eigenen, oft aufwändigen
                      Kreationen. Das Schaustück, ein komplexes und fragiles
                      Schokoladewerk für spezielle Kundenwünsche, Lehrabschlüsse
                      oder auch Wettbewerbe bildet einen Höhepunkt der Confiseriekunst. Schokoladefiguren  Wer kennt sie nicht, die Osterhasen
                      und Weihnachtsmänner aus Schokolade, die jedes Jahr
                      immer wieder die Sinne beglücken? Schokoladefiguren
                      sind eine der ansprechendsten Präsentationsformen
                      der Schokolade. Vergleichbare Figuren waren indessen schon
                      vor der Entwicklung der Essschokolade bekannt. Zuckerbäcker
                      formten aus Zucker, Marzipan und Tragant dekorative Figuren,
                      die allerdings nur teilweise essbar waren. Die Herstellung von Schokoladefiguren ohne Hilfsmittel
                      wie Formen war sehr aufwändig. Mit der starken Produktionssteigerung von Schokolade Ende
                      des 19. Jahrhunderts war zudem das Problem der rationellen
                      Herstellung von Schokoladefiguren zu lösen. Der Vergleich mit dem seit Jahrhunderten bekannten Formenguss
                      von Metall lag auf der Hand: Die heisse, flüssige
                      Masse wird in Formen gegossen. Nach dem Abkühlen kann
                      die Figur der Gussform entnommen werden. Entsprechend wurden
                      Schokolade- Giessformen entwickelt, die teilweise voll
                      ausgegossen, mehrheitlich jedoch als sogenannte Hohlformen
                      funktionierten. Hohlformen wurden nur teilweise gefüllt
                      und dann gedreht, so dass sich die Schokolade nur auf den
                      Formenwänden verteilte. Die einfachsten Giessformen bestehen aus zwei Hälften,
                      können aber bei komplizierten Figuren aus mehr Teilen
                      bestehen. Die breite Nachfrage nach solchen Formen beflügelte
                      die Produktion insbesondere in Frankreich und Deutschland.
                      Blütezeit der Schokoladefiguren war die erste Hälfte
                      des 20. Jahrhunderts. Tausende von Formen wurden hergestellt,
                      um alle möglichen Bedürfnisse von Confiserien
                      und Konditoreien zu befriedigen. Die 1868 in Dresden gegründete Firma Anton Reiche
                      war Marktführer. Bis 1932 sollen bei Reiche ca. 50'000
                      verschiedene Modelle angefertigt worden sein. Die Formen
                      bestanden bis nach dem Zweiten Weltkrieg aus Metallblech. So sehr die grosse Vielfalt der Figuren von den Kunden
                      geschätzt wurde, die Herstellung blieb aufwändig.
                      Besondere Sorgfalt verlangte das «Schminken»,
                      das Bemalen der Giessform mit Schokolade in abgesetzten
                      Farben für Augen, Kleider, Verzierungen etc., bevor
                      die Schokolade eingegossen wurde. Den enormen Aufwand konnten
                      sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch
                      mit teilweisem Einsatz von Maschinen fürs Drehen die
                      wenigsten Betriebe leisten. Was früher in jeder besseren
                      Confiserie oder Konditorei an selbst gegossenen und geschminkten
                      Schokoladefiguren angeboten wurde, ist heute weitgehend
                      verschwunden. Heute herrscht die industrielle Massenherstellung
                      vor, allerdings weitgehend reduziert auf Saisonartikel
                      zu Ostern und Weihnachten. Jolanda und Beat Gerber, passionierte Konditoren aus Zürich,
                      haben sich ganz der historischen Schokoladefiguren angenommen.
                      Gegen 800 historische Formen haben sie zusammengetragen,
                      der Hauptteil aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
                      Sie verstehen sich aber keineswegs als Sammler, vielmehr
                      liegt ihnen daran, mit diesen Formen zu arbeiten. So stellen
                      sie beide in traditioneller Handarbeit Figuren her, deren
                      Qualität auch das Können widerspiegelt. Sämtliche
                      Figuren in den Vitrinen sind von ihnen hergestellt worden
                      und stellen einen repräsentativen Querschnitt ihrer
                      Formensammlung dar. © 2010 lic. phil. Alexandra M. Rückert und Dr.
                    René Schiffmann, Historisches Museum Thurgau
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