Bausparer-Geschichten aus dem Südwesten
                    
                    
Dr. Paula Lutum-Lenger, Haus der Geschichte
                    
"Was hat man 
                      ihm (dem kleinen Mann) nicht alles versprochen: das Land 
                      Utopia, den kommunistischen Zukunftsstaat, das Neue Jerusalem, 
                      selbst ferne Planeten. Er aber wollte nur eines: ein Haus 
                      mit Garten". So bringt Gilbert Keith Chesterton den Traum 
                      der Menschheit auf einen ironischen Punkt. Folgt man einer 
                      aktuellen Umfrage ("Die Zeit", 25. Mai 2005), hat der Dichter, 
                      dessen literarische Bedeutung weit über die Figur des Pater 
                      Braun hinausreicht, bis heute Recht behalten. Nach wie vor 
                      träumen 80 Prozent aller Deutschen von einem eigenen Heim 
                      im Grünen. Auch wenn es sich um einen bundesweiten Traum 
                      handelt, scheint er doch einen spezifisch südwestdeutschen 
                      Einschlag zu haben, wie schon die viel zitierte Devise "Schaffe, 
                      schaffe, Häusle baue" signalisiert.
Die Herkunft dieses 
                      1957 von Theodor Heuss auf dem siebten Weltkongress des 
                      internationalen Bausparerverbandes in Stuttgart geadelten 
                      schwäbischen Schlachtrufs liegt im Dunkeln. Gleichwohl handelt 
                      es sich um die zweifellos wichtigste Sentenz, mit der Nicht-Schwaben 
                      das Schwäbische charakterisieren. Dabei steht die Eindeutigkeit 
                      der Zuschreibung in bemerkenswertem Kontrast zu den vorliegenden 
                      Daten. Baden-Württemberg rangiert heute hinter dem Saarland, 
                      Rheinland-Pfalz und Niedersachsen mit 49,3 Prozent erst 
                      auf dem vierten Platz, was den Anteil an Wohneigentum ausmacht. 
                      Aber vermutlich ist Baden-Württemberg, trotz der weitverbreiteten 
                      Realteilung und der damit einhergehenden hohen Wertschätzung 
                      von Grund- und Hausbesitz, wegen der hohen Baulandpreise 
                      - den höchsten in allen deutschen Flächenländern - nicht 
                      auf einem der ersten Plätze in dieser "Rangliste der Bausparer". 
                      
So ist es vielleicht kein Zufall, dass in diesem Bundesland 
                      nicht nur die erste Bausparkasse auf dem Kontinent, sondern 
                      auch zahlreiche andere gegründet wurden. Vorbilder gab es 
                      damals nur in England und Amerika. Bis in die jüngste Vergangenheit 
                      waren wichtige südwestdeutsche Bausparkassen wie Wüstenrot, 
                      die 2001 mit ihr fusionierte Leonberger und der Branchenprimus 
                      Schwäbisch-Hall nach hiesigen Städten benannt - sicher mit 
                      ein Grund für die Wahrnehmung des Südwestens als Hochburg 
                      des Bausparens. 
Die Geschichte des Bausparens im Südwesten 
                      ist aufs Engste mit den sozialen und historischen Umwälzungen 
                      der deutschen Geschichte verbunden. Die erste Bausparkasse, 
                      die "Gemeinschaft der Freunde", 1924 von Georg Kropp in 
                      Wüstenrot gegründet, verstand sich als Selbsthilfeorganisation 
                      und war eine Reaktion auf das allgegenwärtige Wohnungselend 
                      nach dem Ersten Weltkrieg. Die weitgehende Zerstörung deutscher 
                      Großstädte im Zweiten Weltkrieg und der Zuzug von Flüchtlingen 
                      und Vertriebenen machte den öffentlichen Wohnungsbau und 
                      die Eigentumsförderung dann zur zentralen Aufgabe der Nachkriegspolitik. 
                      Noch vor den historischen Bedingungen, an die der Wohnungsmarkt 
                      geknüpft ist, ist der demographische Wandel als Motor des 
                      Bauspargedankens zu nennen. So unterschiedliche Phänomene 
                      wie der Übergang von der Groß- zur Kleinfamilie, Babyboom 
                      und Pillenknick bis hin zum Singlehaushalt unserer Tage 
                      prägten und prägen den Wohnungsbedarf und den Wunsch bauzusparen.
Zugleich 
                      ist der individuelle Wunsch oder "Traum" von den eigenen 
                      vier Wänden, wie er im Abschluss eines Bausparvertrages 
                      zum Ausdruck kommt, immer ein persönlicher und individueller. 
                      Deshalb liegt es nahe, exemplarische Bausparer in den Mittelpunkt 
                      der Ausstellung zu stellen, Personen, die für jeweils eine 
                      Generation von Bausparern von den 1920er Jahren bis heute 
                      stehen. Was waren ihre Beweggründe, einen Bausparvertrag 
                      abzuschließen? Wie stellten sie sich ihr zukünftiges Wohnen 
                      vor? Wie konnten sie ihr Ziel in den entsprechenden Zeitumständen 
                      realisieren? Sechs besondere Geschichten stellt die Ausstellung 
                      vor, sechs individuelle Träume vom Eigenheim, jeweils im 
                      Kontext des historischen, sozialen und ökonomischen Umfeldes. 
                      
Will man sich heute ein Bild machen von den Bausparern 
                      der letzten achtzig Jahre, begibt man sich auf die mühselige 
                      Suche nach den authentischen Überbleibseln, die individuelle 
                      Versuche, den Traum vom eigenen Heim zu verwirklichen, hinterlassen 
                      haben. Geblieben sind Bausparverträge, Dokumente, Zeichnungen, 
                      Pläne, Fotos und Urkunden, die die Rekonstruktion vieler 
                      Bausparkarrieren erlauben. Idealziel einer solchen Karriere 
                      war die Zuteilungsreife. Keine Wortprägung hat sich im Laufe 
                      der gut achtzigjährigen Geschichte des Bausparens so sehr 
                      dem kollektiven Bewusstsein eingeschrieben wie der Begriff 
                      "Zuteilungsreif". Das Wörterbuch der Deutschen Sprache nennt 
                      den Begriff seit den 1930er Jahren ausschließlich im Zusammenhang 
                      mit dem Bausparvertrag. 
Begehbare, transluzente Kuben 
                      prägen die Ausstellung. Jeder Kubus erzählt eine Bausparergeschichte. 
                      Für die erste Phase steht ein prominenter Mann: Friedrich 
                      Wolf, der sozial engagierte Arzt und erfolgreiche Schriftsteller. 
                      Der Kommunist war ein entschiedener Befürworter der jungen 
                      Bausparbewegung. Seine erstmals ausgestellte Mitgliedskarte 
                      der Bausparkasse Gemeinschaft der Freunde Wüstenrot empfängt 
                      den Besucher am Eingang des Kubus. Eine Projektion stellt 
                      das Traumhaus von Friedrich Wolf vor, der mit diesem, von 
                      Richard Döcker entworfenen Eigenheim, sein Konzept des "befreiten 
                      Wohnens" (Sigfried Giedion) verwirklichte. 
Der zweite Kubus 
                      erzählt ebenfalls von einem jüdischen Bausparer, Gustav 
                      Oppenheimer aus Mannheim. Sein zugeteiltes Bausparkapital 
                      wurde auf ein Sperrkonto überwiesen. Oppenheimer, der 1939 
                      in die USA emigriert war, hat es erst 1960 erhalten, nach 
                      jahrelangen gerichtlichen Auseinandersetzungen. 
Für die 
                      Zeit von 1949 bis 1959, die Zeit der Währungsreform und 
                      des Wirtschaftswunders, steht Josef Langer aus Wurmlingen, 
                      ein Flüchtling aus dem Sudetenland. Das Ehepaar Langer verkörpert 
                      mit seinem 1959 bezogenen, schwer erarbeiteten Siedlungshaus 
                      die Integration von Heimatvertriebenen in der Zeit nach 
                      dem Zweiten Weltkrieg.
Die Familie Ritz aus Buchen vertritt 
                      die Zeit von 1960 bis zur Ölkrise von 1973. Ihr Anfang der 
                      1960er Jahre gebautes Haus war als Mehrgenerationenhaus 
                      geplant und wurde mit finanzieller Unterstützung von Eltern 
                      und Schwiegereltern erstellt. Der zeittypische Partykeller 
                      war als Treffpunkt für gesellige Anlässe gedacht. 
Für zahlreiche 
                      Migrantenkarrieren steht die Familie Rapino in Stuttgart-Degerloch. 
                      Der Italiener Federico Rapino war 1965 als Gastarbeiter 
                      nach Stuttgart gekommen und konnte in den Jahren 1973 bis 
                      1975 mit Bausparmitteln aus Deutschland ein großes Haus 
                      in seinem Heimatort Lanciano in den Abruzzen bauen - mit 
                      Weinstöcken und Olivenbäumen. 
Der sechste Kubus repräsentiert 
                      in der Ausstellung die Zeit von 1989 bis heute, in der es 
                      unter anderem um neue Konzepte von innerstädtischem Wohnen 
                      ging: Acht Familien mit insgesamt 13 Kindern planten und 
                      realisierten im Französischen Viertel in Tübingen ihren 
                      Traum vom innerstädtischen Wohnen und Arbeiten. Heide Lehnert, 
                      geschieden und Mutter zweier schulpflichtiger Kinder, gehört 
                      zu den Initiatoren dieser Baugemeinschaft.
Am Beginn einer 
                      jeder Ausstellungseinheit werden als ästhetisch wirksames 
                      Darstellungsmittel für zeittypische Kontexte historische 
                      Werbefilme der Bausparkassen gezeigt. Sie geben Auskunft 
                      über die unbewussten Motive und kollektiven Träume einer 
                      Zeit, von denen manchmal nicht mehr als eine Illusion übrig 
                      blieb. Werbung spielte in der Geschäftsidee der Bausparkassen 
                      von Anbeginn eine wichtige Rolle. Wohnideale der Zeit wurden 
                      hier wirkungsvoll in Szene gesetzt, sie weckten beim Betrachter 
                      oft erst den Traum vom eigenen Heim.
Sprechen die beiden 
                      bisherigen Ebenen den Besucher auf einer eher emotionalen 
                      und affektive Art und Weise an, so sind die auf einer dritten 
                      Ebene angebotenen Daten und Fakten zum Bausparen im Südwesten 
                      eher an die kognitiven Fähigkeiten der Besucher ausgerichtet: 
                      Medienstationen informieren über die Entstehung der Bausparkassen, 
                      über die Bauspar- und Eigenheimquote, über die Zahl der 
                      Eigenheimbesitzer in Baden-Württemberg und im Vergleich 
                      zur Bundesrepublik. 
Nach dem Gang durch die Geschichte 
                      des Bausparens vom Gestern ins Heute steht am Ende der Ausstellung 
                      das Bauen der Zukunft. Wie wird man wohnen, wenn ein heute 
                      abgeschlossener Bausparvertrag zuteilungsreif ist? Werner 
                      Sobek hat das Haus der Zukunft nicht nur entworfen, sondern 
                      schon gebaut: Er wohnt in einer futuristischen Konstruktion 
                      aus Glas und Stahl, die ihm und seiner Familie die Möglichkeit 
                      gibt, Natur und Wetter am Rande des Stuttgarter Talkessels 
                      ganz unverstellt zu erleben. Auch andere Beispiele für intelligente 
                      Architektur sollen den Besucher motivieren über eigene Wohnträume 
                      nachzudenken. 
Welche Träume und Visionen können wohl in 
                      Zukunft nach der Mitteilung "Zuteilungsreif!" Wirklichkeit 
                      werden?