|  Das Münster ist in mehrerer Hinsicht einzig. Jede andere
                Kathedrale in der Tradition der französischen Gotik hat
                zumindest zwei ausgebildete Turmstümpfe, wenn nicht gar
                die Türme bis zu einer respektablen Höhe ausgeführt.
                Dass der Zwischenraum zwischen den beiden Turm-Untergeschossen
                hier zu einer geschlossenen Schauwand ausgebildet ist, ist einzig.
                Es verdeutlicht das - politische und kulturelle - Selbstbewusstsein
                der Straßburger Bürger im 14. Jahrhundert und ihren
                Stolz auf die Rechtsstellung der Stadt als Freie Reichsstadt.
                Für diesen Blick sollten Sie in die Rue Mercières
                zurückgehen und die Wand in voller Schönheit auf sich
                wirken lassen.
  Gehen Sie dann die Straße wieder aufs Münster zu
                und wenden Sie sich rechts oder links, je nach Sonnenstand. Suchen
                Sie dann den Storch an der Münsterfassade. Wenn Sie richtig
                stehen, sehen Sie ihn frei gegen den Himmel stehen. Der Storch
                ist zwar das Wappentier des Elsass, aber deswegen steht er nicht
                da. Er ist Sinnbild Mariens und Christi.
  Bevor Sie das Münster betreten, gehen Sie zum rechten Seitenportal
                der Westfassade. Dort stehen die Figuren der Klugen und der Törichten
                Jungfrauen, begleitet von Christus und dem Fürsten der Welt.
                Von allem tiefen religiösen Gehalt abgesehen ist das eine
                Allegorie darauf, dass man nicht alles glauben soll, was man
                an Schönem und Reizvollem sieht, sondern dass man versuchen
                soll, hinter die Dinge zu sehen. Und nur wer sich den Fürsten
                der Welt, der den Apfel der Versuchung lockend hält, genauer
                ansieht, sieht auf seinem Rücken die Schlangen und das Gewürm.
 Einer der Höhepunkte der Bauskulptur sind die beiden Figuren
                der Ecclesia und der Synagoge an der Fassade des südlichen
                Querhauses, dem Bischofspalast gegenüber. Sie sind in der
                Zeit der frühesten Gotik gearbeitet, von einem Bildhauer,
                der in Frankreich, im Herzland der Frühgotik, gearbeitet
                hat und der seine Kenntnisse mit nach Straßburg brachte.
                Wenn die Figuren wegen Bauarbeiten verdeckt sind, müssten
                Sie ins gegenüber liegende Frauenwerksmuseum gehen, da stehen
                die Originale. Sie sind einfach nur schön.  Das ist das, was Sie an Münster außen gesehen haben
            sollten. Und vergessen Sie die Wasserspeier nicht.
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