|  Was haben Riemenschneiders Eva vom Marktportal der Würzburger
                      Marienkapelle, 1491 bis 1493 gefertigt, und Bridget Rileys
                    Gemälde „K’ai ho“ von 1974 gemeinsam?
 In künstlerischer Intention und im Entstehungszusammenhang
                      grundverschiedene Werke offenbaren in ihrer ornamentalen
                      Struktur formale Gemeinsamkeiten, ohne dabei ihren spezifischen
                      Aussagegehalt zu verlieren: Die Wellen im fließend
                      herabfallenden Haar der Eva umspielen ihren weiblichen
                      Körper, kennzeichnen ihn - zum Ornament stilisiert
                      - als Idealgestalt. Bei Bridget Riley überziehen die
                      Wellen den gesamten Bildträger. In ihrer Regelmäßigkeit
                      kaum wahrnehmbar gestört, lassen sie die Fläche
                      vor unserem Auge flimmern. Die Wellenlinien sind nicht
                      mehr nur Beiwerk. Das Ornament hat sich aus seiner „dienenden“ =
                      dekorativ-rahmenden Funktion befreit, ist zum einzig bestimmenden
                      Bildinhalt geworden.  Solche ornamentalen Annäherungen sind ein spannendes
                      visuelles Experiment, das unseren Blick fokussiert. Das
                      Vergleichen und Wiedererkennen der Muster sensibilisiert,
                      macht Freude, lässt sich in alle Lebensbereiche und
                      Kulturen mitnehmen, erschließt tiefere Bedeutungsebenen,
                      steht jedem offen, kennt in der Anwendung und Aussage keine
                      Grenzen. Das Ornament verbindet - die Sammlungen zweier
                      Museen in Würzburg, die in ihren historischen wie
                      inhaltlichen Bestimmungen grundverschieden sind: Das Mainfränkische
                      Museum widmet sich der Kunst und Kultur des unterfränkischen
                      Raumes von der Frühgeschichte bis zur Mitte des 19.
                      Jahrhunderts. Das Museum im Kulturspeicher vereint in sich
                      zwei Sammlungsbereiche der modernen Kunst, die ehemalige „Städtische
                      Galerie“ und die Privatsammlung „Peter C. Ruppert.
                      Konkrete Kunst in Europa nach 1945“. In der Doppelausstellung
                      treten in über 50 Gegenüberstellungen nun die
                      Werke alter und moderner, abbildender und abstrakter, angewandter
                      und befreiter Kunst in einen spannungsreichen Dialog. Im
                      Museum im Kulturspeicher werden die Exponate komprimiert
                      im Sonderausstellungsbereich gezeigt, während im Mainfränkischen
                      Museum die Werke Konkreter Kunst in die Schausammlung integriert
                      und beim Rundgang zu besichtigen sind. Die beiden Ausstellungsorte
                      verbindet eine ornamentale Installation der Künstlerin
                      Monika Linhard. 
 
                      
                        | Eva vom Marktportal der Würzburger
                            Marienkapelle Tilman Riemenschneider, 1491 – 1493
 Sandstein, H. 186 cm
 Dauerleihgabe der Marienkapellenstiftung
 Mainfränkisches Museum Würzburg, Inv. Nr.
                          Lg. 32061
 Foto: Ulrich Kneise, Eisenach
 
 | K’aiho Bridget Riley, 1974
 Öl auf Leinwand, 140 x 132,5 cm
 Sammlung Ruppert, Museum im Kulturspeicher Würzburg
 Foto: Bilddienst Tillman Grütz, Veitshöchheim
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                        | Die lang herabfallenden, gewellten
                            Haare Evas sind zu Strähnen rhythmisiert und
                            in ihrer Gleichmäßigkeit durch die handwerkliche
                            Ausführung unterbrochen. Die Haarpracht erscheint
                            wie ein lebendig fließender Rahmen, dessen
                            flirrende ornamentale Struktur mit dem Gemälde
                        von Bridget Riley vergleichbar ist. |  Die Doppelausstellung ist ein spannendes visuelles Experiment
                      auf höchstem künstlerischen Niveau. Neu ist die
                      bewusste Beschränkung auf die beiden in Würzburg
                      beheimateten Sammlungen. Dabei fungiert das Ornament als
                      verbindende „Kulturuniversale“, die den Vergleich über
                      Epochen, Gattungen und Kontextzusammenhänge hinweg
                      erlaubt und zum Bedeutungsgehalt abstrakter Formen führt.
                      Das erfrischt den Blick und öffnet neue Perspektiven
                    auf alte und neue Kunst.  Die Ausstellung begleitet ein reichhaltiges Rahmenprogramm.
                      Termine siehe Tagespresse und unter www.
                      mainfraenkisches-museum.de                      sowie  www.kulturspeicher.de Zur Ausstellung erscheint ein
                      reich bebildeter Katalog von 128 Seiten, erhältlich
                    in beiden Museen zum Preis von 17,80 Euro. |